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Sechs Menschen in der Minute stecken sich an

■ 28 Millionen weltweit haben sich infiziert. Mit ungebrochener Dynamik zieht Aids seine Spur über den Globus. Afrika und Asien trifft die ganze Wucht der Epidemie

Weltweit haben sich bisher 27,9 Millionen Menschen mit dem Aids-Virus HIV angesteckt, darunter 2,4 Millionen Kinder. 7,7 Millionen Menschen sind bisher am Vollbild der Immunschwäche erkrankt, 5,8 Millionen an den Folgen der Krankheit gestorben, allein 1,3 Millionen Kinder. Zum Vergleich: Vor zwei Jahren auf der Aids-Konferenz in Yokohama war noch die Rede von weltweit 17 Millionen infizierten Personen. Die epidemiologische Situation hat sich damit dramatisch verschlechtert. Jeden Tag stecken sich weltweit 8.500 Menschen mit dem Aids-Virus an, das sind sechs Menschen in der Minute.

Die von der UNO zur Welt- Aids-Konferenz in Vancouver vorgelegten Zahlen belegen eine ungebrochene Ausbreitungsdynamik der Immunschwächekrankheit, die derzeit vor allem auf dem asiatischen Kontinent wütet. Die Daten zeigen aber auch, wie unterschiedlich stark die verschiedenen Kontinente betroffen sind.

Allein das südliche Afrika meldet 19 Millionen Infizierte. Den ärmsten Kontinent trifft die ganze Wucht der Krankheit. UN-Aids, das bei den Vereinten Nationen neugegründete Headquarter im weltweiten Kampf gegen die HIV- Infektion, nennt in seiner Übersicht die fünf am härtesten betroffenen Länder. Trauriger Spitzenreiter ist Botswana, wo 18 Prozent aller Erwachsenen infiziert sind. Sambia (17 Prozent), Simbabwe (17), Uganda (15) und Malawi (13) liegen ebenfalls im Zentrum der Epidemie. Das andere Extrem: Im kommunistischen Teil Koreas sind nur 0,001 Prozent der Erwachsenen infiziert, einer von 100.000. Westeuropa hat eine Infektionsrate von 0,2 Prozent, die USA und Südasien melden 0,5 Prozent, die Karibik liegt bei 1,4 Prozent.

In Asien hat die Epidemie mit fünf Jahren Verspätung erst Mitte der achtziger Jahre begonnen. Seitdem sind die Infiziertenzahlen explodiert. Im bevölkerungsreichen Indien leben heute drei Millionen Menschen mit HIV und Aids, mehr als in jedem anderen Land der Erde. Noch ist die Epidemie in Asien auf vier Länder konzentriert: Thailand, Indien, Kambodscha und Myanmar zählen mehr als 90 Prozent aller HIV-Infektionen des Kontinents.

In Deutschland sind gegenwärtig rund 60.000 Personen mit HIV infiziert, 17.000 sind bisher an Aids erkrankt, 12.000 daran gestorben. Die Zahl der Neuinfektionen ist zurückgegangen und wird vom Deutschen Aidszentrum auf jährlich 2.000 bis 3.000 geschätzt. Der Anteil der östlichen Bundesländer an den Infektionen liegt bei einem Prozent.

Die Lebenserwartung für die Infizierten und Kranken hat sich gebessert, ist aber weltweit nach wie vor extrem unterschiedlich. In Afrika sterben viele der 2,5 Millionen infizierten Kinder schon in den ersten Lebensjahren. Studien aus den Industrieländern zeigen dagegen, daß dort nach der Infektion mit HIV zwölf bis dreizehn Jahre vergehen, bevor bei rund 60 Prozent der Infizierten das Aids-Stadium, also das Vollbild der Krankheit, ausbricht. Die anderen 40 Prozent leben noch länger mit HIV, ohne lebensbedrohlich krank zu werden. Und manche werden nie an Aids erkranken. Da die Immunschwächekrankheit erst seit 15 Jahren seriös beobachtet wird, läßt sich über längere Überlebenszeiten noch nichts sagen.

Die Bilanz von UN-Aids zeigt bei aller Tristesse immerhin einige erfreuliche Aspekte. So hat sich bestätigt, daß mit der Vergabe des antiviralen Mittels AZT während der Schwangerschaft und Geburt rund zwei Drittel der HIV-Ansteckungen von Mutter zu Kind vermieden werden können. Leider gilt auch dies nur für die reichen Länder, da AZT in den Entwicklungsländern kaum verfügbar ist.

Andere ermutigende Zahlen: In den USA ist die Zahl der Neuinfektionen mit HIV von 100.000 Anfang der neunziger Jahre auf jetzt 40.000 jährlich zurückgegangen. In Tansania sind zwölf Dörfer mit einem engagierten Aids-Verhütungsprogramm zwei Jahre lang beobachtet worden: Sie hatten 40 Prozent weniger Infektionen als vergleichbare Kommunen. Unter ugandischen Frauen, die eine Schwangerenberatung besuchten, ist die HIV-Infektionsrate leicht gefallen, ebenso unter den Rekruten Thailands.

Besonders erfreulich ist der hohe Kondomverbrauch in einigen Regionen. In Äthiopien stieg die Kondomverteilung von 20.000 im Jahr 1987 auf mehr als 26 Millionen in 1993. In Afrika wurden vor zwei Jahren von einer einzigen Firma 110 Millionen Kondome verkauft, während es 1988 insgesamt nur eine Million waren.

Aids ist eine schwerübertragbare Krankheit, vor der man sich mit einfachsten Mitteln schützen könnte. An dieser Botschaft hat sich auch im 16. Jahr der Epidemie nichts geändert. Die Frage von Mike Merson, dem langjährigen Direktor des Aids-Programms der Weltgesundheitsorganisation, hat weiter Gültigkeit: „Wie kann es diese Welt zulassen, daß sich so viele junge Menschen und Kinder jedes Jahr neu anstecken?“

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