: Zwischen Göttern und Zwergen
Serie: Staub abschütteln. Tips für Stadtflüchtige. Heute: Zum Künstlerhaus Schloß Wiepersdorf. Wo früher Bettina von Arnim und später Christa Wolf und Anna Seghers dichteten, gibt es am Wochenende Lesungen, Konzerte und Ausstellungen ■ Von Katrin Bettina Müller
Manchmal scheint die Gegenwart auf verlorenem Posten in der grünen Idylle von Wiepersdorf. Wer auf den Spuren romantischer Dichtung zum ehemaligen Gutshof von Bettina und Achim von Arnim in den Niederen Fläming fährt, rechnet nicht damit, lebendigen Künstlern über den Weg zu laufen. Die aber „residieren“ als Stipendiaten im „Schloß“, schon seit 1946.
So bleiben den Besuchern wochentags nur der intime Park und die Wanderwege. Samstags und sonntags aber, wenn das kleine „Bettina und Achim von Arnim Museum“ auf Dichterfans und die Orangerie im Garten auf Kaffeegäste warten, lädt auch das Künstlerhaus zu Lesungen, Konzerten und Ausstellungen ein.
Über sechzig Stipendiaten beherbergt das Haus innerhalb eines Jahres. Für zwei bis fünf Monate arbeiten sie im Schloß, in umgebauten Wirtschaftsräumen und auch im ehemaligen Konsum. Denn seit Anna Seghers, Christa Wolf und Sarah Kirsch hier gedichtet haben, ist die Institution gewachsen. Vergeben werden die Stipendien heute von der Stiftung Kulturfonds, Träger des Hauses, von den Bundesländern und ausländischen Stiftungen. Vor allem das Land Brandenburg sorgt mit Autoren aus Ungarn und Polen, bildenden Künstlern aus Italien, Japan, South Carolina und einer russische Pianistin für internationale Belebung und die gelegentliche Rückbesinnung auf die Zeichensprache. Mit eingeladenen Germanisten, Kunsttheoretikern und Soziologen regt die Stiftung Kulturfonds den Austausch zwischen Kunst und Wissenschaft an.
Zunächst gibt es hier nichts als das platte Land. Kein Laden, kein Kino, kein gar nichts, das einzige Wirtshaus unter der Kontrolle des 200-Seelen-Dorfes, der nächste Bahnanschluß (Jüterbog) 18 Kilometer entfernt. Was bleibt in dieser Abgeschiedenheit schon anderes übrig als Arbeit und „Geselligkeit“. Einmal die Woche ist Jour fixe, damit die Stipendiaten die Arbeit ihrer Mitbewohner kennenlernen. Schummelrunden, Boulespiele und Spaziergänge regeln das social life, dem die Gewißheit, daß pünktlich um 12.30 Uhr der Hackbraten auf dem Tisch steht, einen soliden Rahmen verleiht.
„Unglaublich“ fand eine Künstlerin aus der Schweiz die Landschaft. Ohne Plan radelte Bettina Grossenbacher durch Felder und Wald, vorbei an Teichen und Windrädern, bald gerüstet mit Videokameras. Mit unserer Sehnsucht, aus der Lärmkulisse der Stadt weg in die grüne Stille zu tauchen, beschäftigt sich hier Robin Minor, Klangkünstler aus Kanada, der für das Sommerfest die Wiese vor dem Schloß bespielt. Aber selbst Künstler, für die Natur kein Thema ist, schwärmen bald vom Quaken der Unken.
Nicht Wasser, sondern unbedrucktes Zeitungspapier wirft sich zu Wellen auf in der Skulptur „Internal Waves“, die Heike Klußmann in der Tankhalle aufgebaut hat. Eine Insel aus Kaffeehausstühlen versinkt im Meer aus Papier. Auf den leeren Seiten verrauscht das täglich Neue, ist die Datenflut gelöscht. Rhythmus und Dauer der Landschaft behaupten sich gegen die Zerstücklung der Zeit und Verzettelung des Alltags. Daß Heike Klußmann, 1995 Stipendiatin im Künstlerhaus, mit dieser Arbeit über verschiedene Zeitstrukturen nach Wiepersdorf zurückkehrt, ist kein Zufall. Denn befreit von der Organisation des Alltags, werden die Tage hier lang.
Die gewonnene Zeit in intensive Arbeit zu stecken hoffen die meisten Stipendiaten. Aus Berlin ist auch der Autor Friedrich Christian Delius für acht Wochen nach Wiepersdorf abgetaucht, um eine Erzählung weiterzuschreiben. Man muß schon wissen, was man hier will; auf den Genius loci als Quelle der Inspiration zu bauen funktioniert kaum.
Denn schon der oft beschworene romantische Geist auf Schloß Wiepersdorf ist größtenteils ein Kunstprodukt. Bettina von Arnim, die 1814 mit ihrem Mann auf das Gut gekommen war, floh bald mit den Kindern nach Berlin; Achim hielt tapfer die ländliche Stellung und schickte Gemüse in die Stadt. Erst nach seinem Tod, als ihr „drittes Leben“ als Künstlerin begann, nutzte sie die Ruhe des Dorfes, um das frühromantische Aufbegehren gegen die Philister zu rekonstruieren.
Das „Schloß“ selbst erhielt sein idyllisches Kleid Jahrzehnte später. Erst der Enkel Achim von Arnim-Bärwalde, Historienmaler, war reich genug, den Hof in ein barockes Schlößchen umzubauen und den Park mit steinernen Göttern zu bevölkern. Aus Italien brachte er auch „barocke“ Gartenzwerge mit, die Bildhauer bis heute das Gruseln lehren können.
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