Rom, Kurzstädtereise Von Joachim Frisch

In Rom sind die Leute nicht anders als in der österreichischen Provinz, schreibt Thomas Bernhard in der Auslöschung, daß er denkt, die Römer seien sogar „noch viel verlogener, aber mit was für einem hohen Intelligenzgrad“. Mir klemmten hyperintelligente Busfahrer die Finger in die Tür ein, blitzgescheite Ober präsentierten phantasievolle Rechnungen, und hochbegabte Verkehrsrüpel fuhren mir tausendmal fast den Arsch ab, während ich bei grünen Fußgängerampeln oder auf Zebrastreifen die Straßen überquerte. Später lehrte mich eine sehr alte Frau, wie das geht. Wie in Trance schlurfte sie inmitten des Gewusels, Getoses und Gequäkes der abertausend Autos, Busse, Laster und Roller über die Piazza Venezia, den Verkehrsknotenpunkt Roms, kaum schneller, als Scharping redet.

An einem anderen Verkehrsknotenpunkt, der Piazza del Popolo, findet alltäglich zwischen vier Uhr mittags und zehn Uhr abends das Schaufahren aller in Rom angemeldeten 2,5 Millionen Vespen (Vespas?) statt. Quäkend ziehen sie von der Via del Corso heran und umrunden, bevor sie in der Nacht verschwinden, elfmal die Piazza, ohne daß der Fahrer auch nur ein einziges Mal auf die Fahrbahn guckt, denn der Blick bleibt konsequent auf die flanierenden jungen Damen gerichtet.

Dagegen ist die Piazza Navona, auf der früher einmal grausame Ritterspiele stattgefunden haben sollen, in der Abendsonne der friedlichste Ort der Welt. Das Sienarot der Fassaden durchflutet das Gemüt wie der Kick der ersten Heroinspritze, falls Irvine Welsh in Trainspotting die Wahrheit sagt. Die Römer widmen sich ihrer Lieblingsbeschäftigung, dem zweckfreien Herumstehen, die Touristen sitzen auf den Plastikstühlen der Cafés, wo sie Cappuccino für 8.000 Lire trinken, und schauen den Römern beim Herumstehen zu. Ansonsten kann man den Touristen vom Römer daran unterscheiden, daß er ab und zu, etwa bei Regen oder in der Nacht, seine Sonnenbrille abnimmt. Dem Römer ist die Sonnenbrille an der Nasenwurzel festgewachsen.

Trinkt man den Cappuccino statt auf der Piazza Navona am Tresen einer Bar, so kostet er nur 1.500 Lire und schmeckt hundertmal besser, weil er frischer und heißer und die aufgeschäumte Milch aufgeschäumter ist. Den besten Cappuccino des Universums habe ich täglich dreimal in einer kleinen Bar nahe des Pantheons getrunken, er allein ist eine Reise nach Rom wert. Doch leider besteht der Auftrag des Touristen nicht allein im Cappuccinotrinken im Stehen und im Beobachten herumstehender Römer, der Tourist muß sich zum Beispiel auch in den Bus der Linie 64 zwängen, den sogenannten Nonnenexpreß durch die Altstadt in Richtung Vatikan. Wo er aussteigt, entscheiden die anderen Fahrgäste, die ihn im Pulk aus dem Bus drängen. Mich schickten sie direkt zum Petersdom. Das schönste an ihm sind die Lichthüte auf dem Dach. Bei Sonnenschein sehen sie aus wie Phalli (Phallen?) mit Leuchtkondomen.

Zum Glück lebe ich nicht in Rom, in dieser gestreßten Stadt, in der man nicht leben kann, wie man andererseits an keinem anderen Ort der Welt mehr leben kann, wenn man einmal in Rom gelebt hat. So weit so ähnlich wie Thomas Bernhard über Rom oder Wien. Auch in Lissabon soll es sich ja sehr angenehm leben.