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Grace Slick lebt hier nicht mehr!    ■ Von Karl Wegmann

Ach, wie niedlich! Da hocken sie wieder. Ein halbes Dutzend, ebenso viele Köter. Direkt neben dem Eingang vom Supermarkt versuchen sie, Konsumwillige zu schockieren: Bunte Haare, kaputte Hosen, Lederjacken mit jeder Menge Altmetall und andere Insignien der ehemaligen Zwei-Akkorde-Rebellion gegen bürgerliche Normen. Seit ungefähr 25 Jahren gibt's jetzt Punker. Ungefähr zehn Jahre lang waren sie ja ganz witzig, aber danach? Ich meine, es gab uns Hippies, und dann kamen die Punks. Danach war die Jugend einfach zu fantasielos um sich eine eigene, orginelle, antisoziale Haltung auszudenken. Sie sind einfach auf einen Zug gesprungen, der schon lange auf dem Abstellgleis vor sich hin rostete – und merkten es nicht einmal.

Die, die hier mit ihren Klamotten den Bürgersteig fegen und Massenmord an kleinen grauen Zellen begehen, waren noch nicht mal geboren, als Sid Vicious seine Nancy abgestochen hat. Sie sind blutjung und saublöd. Wenn ich sie sehe, stelle ich immer die Punk-Suggestivfrage: „Wo steht ihr denn politisch so?“ Prompt kommt die Antwort: „Wir sind Anarchisten, ey!“ Ich verkneife mir ein Lachen. Und auf die Frage: „Haste mal Kleingeld“ antworte ich: „Nee, hab ich nicht. Aber ich mach euch einen Vorschlag: Ich zitiere einen Songtext und wenn ihr mir sagt, von wem der ist, spendiere ich euch 'ne ganze Palette Dosenbier – von Aldi.“ Das macht die Systemverweigerer sofort munter. Also starte ich die Gossen-Game-Show. „Hier kommt der Text-Auszug: Wir stehlen, betrügen, lügen, fälschen, verstecken Drogen und handeln damit, um zu überleben. Wir sind obszön, ungerecht, scheußlich, gefährlich, dreckig, gewalttätig und jung. Wir sind die Vollstrecker von Chaos und Anarchie. Alles, was man über uns sagt, sind wir wirklich. Ende!“ Alle reden durcheinander, auch die Hunde spüren die Aufregung und können ihr Wasser nicht halten. „Das ist aus Mad Max Zwei“, brüllt eine, „bestimmt von so Rockopis wie Pistols, Clash oder Vibrators“, meint ein anderer, „Bierpatrioten?“, fragt einer, „Cellophane Suckers? Hammerhai?“ – „Dat is von so Hardcore-Wichsern wie Rancid“ – „Nee, Angry Red Planet ist das oder Electric Frankenstein“ – „Quatsch, das sind Kingsize Canary“ – „Motormuschi, Motormuschi, Motormuschi!“

So geht das ungefähr zehn Minuten und ich schüttle immer den Kopf. Dann fällt ihnen keine Band mehr ein. „Alles falsch“, sage ich, „der Song heißt 'We Can Be Together‘ und ist von einer Gruppe namens Jefferson Airplane, und zwar aus dem Jahre 1969.“

„Du hast uns verarscht“, knurrt die größte von ihnen mich an und nimmt eine Drohhaltung ein, „woher sollen wir denn Musik aus dem Mittelalter kennen?“ – „Klar hab ich euch verarscht“, grinse ich. Angst hab ich keine. Punks sind völlig harmlos. Sie werden nur gewalttätig, wenn sie auf einen geschlossenen Getränkemarkt treffen. Warum müssen diese Idioten eigentlich eine Bewegung veralbern, die Mitte der Siebzigerjahre innerhalb weniger Monate die Rockmusik veränderte? Warum nennen sie sich nicht einfach Penner? Was? Das ist politisch nicht korrekt? Netter Witz!

Mir tun die Hunde leid. Da, wo der Punk nach dem siebten Bier seinen Kick kriegt, fühlt sein Hund gar nix. Arme Kreaturen.

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