Wählen gehen!

■ Die nächste Stimmabgabe wird dank Fun-Voting viel unterhaltsamer

Die zurückliegenden Landtagswahlen zeigten es zum Teil dramatisch: Die Deutschen sind zunehmend wahlmüde. Suchte man die Ursachen bislang in der verbreiteten Politik- und Demokratie- bzw. Sozialdemokratieverdrossenheit, wird neuerdings vor allem die mangelnde Attraktivität bzw. hohe Erlebnisarmut des Wahlgangs selbst als ein weiterer möglicher Grund gehandelt.

Deshalb will die Bundeswahlleitung jetzt gegensteuern. Schon die nächsten Landtagswahlen in Berlin sollen in ausgewählten Stimmbezirken attraktiver werden. Fun-Voting heißt das Zauberwort, ein neuer Trend aus Amerika. Wählen gehen und Spaß haben dabei. Also raus aus den schummrigen Schulgebäuden und rein in die ausgesuchtesten Restaurants, Bars und Säle unserer Wahlkreise. Weg auch von der Zwangsverpflichtung unwilliger Wahlhelfer und hin zu angemessen honorierten jungen Menschen, sogenannten Vote-Teams, die, eher Animateure denn Helfer, im Wähler vor allem einen Kunden der Demokratie sehen. Gute Laune und eine lockere Kleidung der Vote-Teams tragen zudem zur guten Stimmung bei (lustige Hütchen werden vom jeweiligen Landeswahlleiter gestellt).

Schluss auch mit der ungeselligen Anonymität der Wahlkabinen. Stattdessen gibt's jetzt offene Voting-Landschaften mit Tresen, Stehtischen und gemütlichen Sitzgruppen. Hier werden Getränke gereicht, es gibt was zu knabbern. Und hier macht man schließlich auch ganz offen sein Kreuz. Transparenz heißt fortan die Devise. Weg mit geheimer Wahl und dem ganzen unkommunikativen Getue. Statt der einsamen Entscheidung in der Kabine lieber vorher mit dem Vote-Team noch mal in Ruhe drüber reden, gern auch mit den anderen Wählern diskutieren oder mit Prominenten (über die Landeswahlleitung zu buchen) klönen, und sich ausgiebig beraten, ehe man die endgültige Wahl trifft.

Für den entscheidungsschwachen Wähler werden, wie beim Lotto, vorab ausgefüllte Wahlscheine bereitgehalten. Jeder Vote-Room verlost zudem noch ein paar zusätzliche Drittstimmen, die mit in die Wertung kommen. Obendrein nimmt jede abgegebene Drittstimme automatisch am Spiel 77 teil.

Bei Bedarf werden auch schwul-lesbische Wahlräume eingerichtet. Auch andere Minderheiten, wie Raucher, alleinerziehende Mütter oder Kosovo-Albaner, bekommen eigene Vote-Rooms. Hauptsache, sie gehen alle wieder wählen.

Fürs nächste Jahrtausend sind sogar noch hippere Wahlinnovationen angekündigt. Der Trend geht eindeutig in Richtung Adventure-Voting. Da wird man dann beim Vote-Diving seine Stimme auch unter Wasser abgeben können oder beim Vote-Climbing in der Steilwand. Denkbar sind auch Vote-Rafting, Vote-Canyoning oder Vote-Carwashing. Wie gesagt, Hauptsache, die Leute gehen bzw. schwimmen, tauchen, klettern oder waschen wählen.

Bereits für die nächste Bundestagswahl im Gespräch: das Wahllokal für den eiligen Wähler, das sogenannte Vote-In. Solche Stimmannahmestellen werden in Schnellrestaurants eingerichtet werden, wo's bereits einen Autoschalter gibt. Da kann man dann, ohne aussteigen zu müssen, vom Auto aus wählen. Statt dem Personalausweis reicht hier als Legitimation das Autokennzeichen. Das Votum selbst erfolgt mündlich. Fast-Voting heißt man diese innovative Wahlmöglichkeit: für die kleine Stimmabgabe zwischendurch. Und wer Hunger hat, bestellt sich gleich noch einen Big Klops mit Pommes dazu.

Fritz Tietz