Reformmuffel
: Qualifikation als Hindernis

■ Studie: Gut ausgebildete Männer tun vor allem eins: Viel arbeiten / Und was ist mit der Umverteilung der Arbeit?

Die Bremer Angestelltenkammer hat in einer neuen Untersuchung eine arbeitsmarktpolitische „Lehmschicht“ unter die Lupe genommen: Den hochqualifizierten Angestellten, der trotz wachsender Arbeitslosigkeit beharrlich immer mehr Überstunden leistet. Von Umverteilung der Arbeitszeit keine Spur.

„Auch das sind Kammermitglieder“, sagt Dr. Ulrich Heisig, Autor der Studie, dienstleistungsbewusst. Doch die Ergebnisse der Untersuchung „Arbeitszeit und Arbeitszeitkonten im hochqualifizierten Angestelltenbereich“, am Freitag der Presse vorgestellt und mit verfasst vom Psychologen Dieter Möhlmann, dürften manchen Kammer-KundInnen nicht schmecken. Denn danach sind hoch qualifizierte Beschäftigte in der freien Wirtschaft Blockierer von Beschäftigungspolitik schlechthin.

Während angelernte oder unqualifizierte Arbeiter und einfache Angestellte nur minimal Überstunden leisten, nimmt die Mehrarbeit mit dem Ausbilddungsstand systematisch zu. So erbringen vollzeitbeschäftigte, leitende Angestellte 27 Prozent aller Überstunden. „Einvernehmlich und dauerhaft“ würden tariflich vereinbarte Arbeitszeiten überschritten. Tendenz zunehmend. Untersuchungen haben ergeben, dass bei einer vereinbarten Arbeitszeit von 36,8 Wochenstunden die hoch qualifizierten Angestellten 1996 sogar 45,6 Wochenstunden arbeiteten. Die Mehrarbeit – oft nicht einmal vergütet oder wenn, dann zunehmend auf Arbeitszeitkonten gut geschrieben – betrug danach 7,8 Wochenstunden. Deutlich mehr als noch vor zwölf Jahren, als die Differenz zwischen tariflich vereinbarter und geleisteter Wochenarbeitszeit lediglich 1,6 (Über-)Stunden betrug. Doch mit der schlichten Forderung nach „Umverteilung“ alleine lasse sich dem Problem nicht beikommen.

Die Gruppe der gut verdienenden, hoch qualifizierten Angestellten sei durch arbeitsmarktpolitische Instrumente wie Teilzeitarbeit schwer zu erreichen. Dies liege nicht nur in ihrem besonderen Leistungswillen und ihrer Motivation begründet. So habe eine Befragung in vier großen Bremer Metall-Betrieben ergeben, „dass diese Menschen Spaß an der Arbeit und der eigenen Leistung haben.“ Dies paare sich mit der Sorge um den Arbeitsplatz und der Angst, von ebenbürtigen Wettbewerbern in den Planungs- und Leitungsgremien ausgestochen und verdrängt zu werden. Doch sei diese Sorge nicht völlig rational „angesichts der Aufwertung, die der einzelne Beschäftigte erfahren hat, indem hoch qualifizierte Aufgaben verdichtet wurden und er heute immer an mehreren Projekten gleichzeitig arbeitet.“ Er sei schwer zu ersetzen.

Zugleich sei die Gruppe der hochqualifizierten – überwiegend männlichen – Angestellten durch die Vertreter von Arbeitnehmerinteressen traditionell schwer zu erreichen. Auch die jüngsten Flexibilisierungs-Entwicklungen hin zu Arbeitszeitkonten, „bis hin zum Lebensarbeitszeitkonto“, täten dem keinen Abbruch. „So ein Konto rechnet sich doch, weil es Geld ist, das dem Finanzamt entzogen wird“ – anders als der regulär versteuerte Lohn oder Gehaltszuschlag. Außerdem sei „eine enorme Kreativität“ bis hin zum „Schwarzgeldkonto“ zu entdecken. Sanktionen hätten bei all dem keine Chance, zur Entwicklung einer durchsetzungsfähigen Strategie zur Umverteilung von Arbeit beizutragen. Der Konsenz zwischen diesen Arbeitnehmern und dem Betrieb sei sehr hoch – und durch Gehaltszuschläge leicht erneuerbar. Eine Lösung konnte Heisig folglich nicht anbieten. „Man müsste ein positives Beispiel geben“, so seine Forderung für eine beispielhafte neue Arbeitsmoral unter leitenden Angestellten in der Privatwirtschaft. ede