: Steins Desaster
Abhängen, rumhängen, durchhängen: Botho Strauß’ „Der Narr und seine Frau heute Abend in Pancomedia“ unter Peter Steins Regie langweilte die Schauspieler und deprimierte die Zuschauer
von VOLKER WEIDERMANN
„Seien Sie still! Seien Sie sofort still! Wir haben schließlich für diese Vorführung bezahlt! Und nicht, um Sie zu hören!“ Peter Steins Inszenierung von Botho Strauß’ neuem Gesellschaftsdrama „Pancomedia“ hatte kaum begonnen, da brach schon Chaos aus. Der ehrgeizige Jungverleger Zacharias Werner (Christian Nickel) hatte, dem Stücktext entsprechend, die Lesung der Nachwuchsdichterin Sylvia Kessel (Dorothee Hartinger) mit einem Zwischenruf unterbrochen und setzte zu einer weiteren Bemerkung an, da entschloss sich ein des Stücktextes scheinbar unkundiger Herr in den hinteren Reihen dem Störer Paroli zu bieten. Es entspann sich ein chaotisches Zwiegespräch zwischen Dichterin, Verleger und Zuschauer, das Sylvia Kessel schließlich mit einem entschlossenen „Ich komm schon allein zurecht, danke sehr“ in Richtung Zuschauer in letzter Not beenden konnte.
Wunderbarer Auftakt, glänzender Einfall: die zufälligen Premierenbesucher von Anfang an in die ganze große Zufallsbegegnerei, in das unübersichtliche Menschendropping im Hotel Confidence, das nun begann, hineinbegegnen zu lassen. Jetzt konnte es losgehen. Stein würde, so konnte man jetzt hoffen, aus Botho Strauß’ Hundert-Rollen-Spiel ein Drama der Gegenwärtigkeit machen, er würde zu einem Stück zusammensetzen, was Matthias Hartmann bei der Uraufführung in Bochum nur hintereinander wegspielen ließ. Aber es kam ganz anders.
Der Abend in der Arena Berlin geriet zu einem totalen Desaster. Zu einem regielosen Drauflosspielen eines überforderten, führungslosen Ensembles. Viereinhalb Stunden lang war die Bühne voll mit Schauspielbemühen, wo Verrücktheiten sein sollten, mit Lächerlichkeiten, wo Verzweiflungen gewollt waren und – immerhin – mit Leere, wo Leere sein sollte. Die Pointen, die wenigen, die Strauß seinem Stück mitgegeben hat, werden geflüstert oder genuschelt, die Traurigkeit wird überspielt. Das Leben ist lang, und Depressionen lauern überall. Jeder kämpft seinen kleinen Überlebenskampf ums Durchschnittsmenschentum als lächerliches Scheingefecht.
In der Pause herrscht überall Ratlosigkeit. Verzweiflung. Depression. Hellmuth Karasek grummelt in sein Sektglas: „Der Stein kann einfach nicht mehr inszenieren.“ Eine Dame erklärt in einem Radiointerview: „Da springt kein Funke über, nichts.“ Und eine Kritikerfrau erläutert ihrem schweigenden Kritikermann: „Er ist verbittert. Das hindert ihn am klaren Denken.“ Der Kritiker nickt und schreibt sich’s auf.
Was ist der Ausweg aus der Depression? Es gibt ein Wundermittel, das wird im Hotel Confidence verteilt. Frau Kessel nimmt es. „Mnemosil“. Ein Mittel zur Vergangenheitsverschickung. Es ist ganz leicht: „Früher musste man sich mühsam erinern. Heute schmeißt du eine Pille ein und bist rundum dort, wo du am liebsten für immer geblieben wärst.“
Der Regisseur Peter Stein hat seine beste Zeit schon lange hinter sich. Nur Mnemosil kann ihn noch retten.
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