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Strindberg und Sex

Charlotte Engelkes spielt und inszeniert „Fräulein Julie“ als Musical im Malersaal  ■ Von Arsen Dedic

In der ehemaligen Sprachwelt der neuen Hamburger Kultursenatorin Dana Horáková würde Charlotte Engelkes wohl den Titel eines Theater-Luders bekommen, nur dass sie da, wo andere nur einen Blubb haben, einen schlaueren Kopf trägt. Vor Jahren war sie Mitglied der schwedischen Theatergruppe Remote Control. Ihre hauptsächliche Aufgabe bestand darin, sich Phantasiewelten zu erdenken und sie den Zuschauern zu erzählen. Sie saß in eleganter Pose auf der Bühne und erklärte, daß eigentlich ein großer Wasserfall zum Bühnenbild gehören müsse, um sie ins rechte Licht zu rücken. Schöne Männer würden den Fluten entsteigen und sie bezirzen. Dann würde sie wunderschöne Lieder singen, bis schließlich ein Prinz auf einem weißen Pferd hineingeritten käme, um sie zu entführen. Aber das war einfach zu teuer für eine Off-Theatergruppe und deren Budget.

Heute arbeitet Charlotte Engelkes alleine. Das große Geld ist immer noch nicht angekommen, und statt auf der großen Bühne ein Fest technischer Installationen abzufeuern, spielt sie im kleineren Maler-saal des Schauspielhauses Fräulein Julie von August Strindberg. Zu Beginn des Stückes betritt sie die Bühne, stellt sich in einen Lichtspot und erklärt im Stil einer Fernsehmoderatorin die Spielregeln des Abends. Sie wollte Fräulein Julie machen, weil sie an die Liebe glaubt, weil das Drama in einem einzigen Raum spielt und sie etwas Schwedisches machen wollte. Dann folgen einige Sätze aus dem ersten Monolog. Sie wechselt vom Deutschen ins Schwedische, ändert permanent ihre Spielhaltung und spricht dann auch noch französisch. Dass ist ein bisschen zu viel des Guten. Schon die erste Szene zeigt die Intention des Abends und Charlotte Engelkes ständig, was sie alles kann: Singen, Regie führen, tanzen. Es ist wie eine Abschlussprüfung mit dem Thema: „Wann werdet ihr mich alle gerne haben?“ Aber trotz – oder gerade wegen – aller Eitelkeit funktioniert das Selbstbestätigungs-System „Charlotte Engelkes“ sehr gut in der Kombination mit Strindbergs Fräulein Julie.

In ihrem letzten Solo im Malersaal, Sweet, arbeitete sich Engelkes an der eigenen Biographie entlang. Auch August Strindberg verarbeitete sein eigenes Leben für seine Stücke. Er litt unter unermüdlichem Schreibzwang und war vom Drang besessen, sich darzustellen und zu rechtfertigen. Er selbst und seine unmittelbare Umgebung bilden das Ausgangsmaterial für seine Stücke. Wie Charlotte Engelkes in ihrer Inszenierung, übersteigert er die Fakten, verzerrt die Konflikte ins Maßlose und Monströse. In einem Brief an seinen Freund Axel Lundegard schrieb er: „Es kommt mir vor, als wandle ich im Schlaf; als wären Dichtung und Leben vermischt.“

Die wohltemperierte Zickigkeit Engelkes' passt hervorragend zur adligen Müßiggängerin Julie. Engelkes ist fast eine ideale Strindberg-Figur, sie ist selbstbewusst, hochmütig und vor allem in sich und die Liebe verliebt. Der Kammerdiener Jean ist seit Jahren in die Gräfin verschossen, und um sich über eine gescheiterte Verlobung hinwegzutrösten, beginnt Julie während der skandinavischen Mittsommernacht eine Äffäre mit ihm. Was für die Gräfin Abenteuer und Selbstbestätigungstrip ist, ist für Jean die Chance eines sozialen Aufstiegs. Er versucht die Gräfin dazu zu überreden, Geld von ihrem Vater zu stehlen, um mit ihm durchzubrennen und in der Schweiz ein Hotel zu eröffnen. Für die von Luxus verwöhnte Julie ist ein Leben voller Arbeit undenkbar und trotzdem kann sie nach ihrem Seitensprung nicht einfach in ihre gesellschaftliche Rolle zurückverfallen; für eine veränderte soziale Wirklichkeit fehlt ihr wiederum der Mut und die Vision.

Im Original des Ehedramatikers Strindberg stellt Jean der Gräfin sein Rasiermesser zur Verfügung. Sie begeht Selbstmord. Charlotte Engelkes hätte gerne ein hollywoodeskes Ende für ihre Version gefunden. Dies gelingt aber nicht. Auch bei ihr ist Fräulein Julie festgefahren und gescheitert. Entschei-dungsunfähig tanzt sie mit Jean in der letzten Szene unter ausgehenden Scheinwerfern einem offenen Schluss entgegen. Engelkes hat für ihre Inszenierung nur wenige originale Stellen benutzt. Sie erzählt den Theater-Klassiker eher über Atmosphären und Nebengeschichten. An ihrer Seite spielt der Argentinier Gonzalo Cunill den Diener Jean.

Der Stil des gesamten Abends ist eher locker: Es gibt Songs mit he-runtergelassener Hose, nackte Säbeltänze und Schneewehen. Während Jean gerade durchrechnet, was eine Hoteleröffnung kosten würde, zersägt er Fräulein Julie, die in einer Zauberkiste steckt. Die schöns-te Szene des Stückes ist jedoch eine ruhige: Bei wenig Licht und mit leiser Stimme erzählen sich Julie und Jean liebevoll bis scharf, was sie so mit dem nackten Körper des anderen anstellen würden. Wo sie nur lecken und wo sie auch mal dran saugen würden.

Engelkes Fräulein Julie ist ein bisschen wie Robbie Williams' unlängst erschienene Swing-Platte: charmant größenwahnsinnig. Manchmal zu viel von allem, dann aber trifft es wieder genau Ton und Kern des Ausgangsmaterials.

weitere Vorstellungen: 2. + 3.2., 20 Uhr, Schauspielhaus/Malersaal

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