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Trommeln für die Mapuche

Kaum ein Berliner kennt die Mapuche. Im Mehringhof informiert eine Benefizwoche mit Vorträgen, Filmen und Musik über das indigene Volk in Chile. Die Veranstaltungen bleiben eher unpolitisch, obwohl die Mapuche in ihrer Heimat diskriminiert werden

„Es gibt keine Wahrheit, wenn es um die Mapuche geht“, sagt ein Chilene

von DINAH STRATENWERTH

Die Frau auf dem Plakat meidet den Blick in die Kamera. Sie ist rundlich, trägt viel silbernen Schmuck um den Hals und lächelt verhalten. „Mapuche-Solidaritätswoche“ steht darüber. Olaf Kaltmeier, Soziologe und Mapuche-Experte, sitzt in einem vollen Saal im Kreuzberger Mehringhof, das Publikum – halb deutsch, halb chilenisch – lauscht gebannt, obwohl er die Geschichte eines hier kaum bekannten Volkes erzählt: „Es gibt eigentlich nicht die Mapuche. Sie haben viele ethnische Identitäten.“ Sein Vortrag war nur ein Teil der Benefizwoche für die Mapuche (siehe Kasten), außerdem informieren im Mehringhof Experten über Religion oder Literatur des Volkes. Im Technoclub Tresor traf man sich gestern außerdem zur Soliparty, dabei waren Dr. Motte, DJ Namito und das Team der Latino-Kultparty La Regla.

Anlass für die hiesige Benefizwoche ist der erste Mapuche-Kongress in Chile. Ein großer Teil der zahlreichen und sehr unterschiedlichen Mapuche-Organisationen trifft sich derzeit in Chile, um eine gemeinsame Linie zu finden. Finanziert wird das Treffen von der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV). Sie organisiert auch die Benefizwoche im Mehringhof. Unklar bleibt, was dieser Kongress den Indigenen wirklich bringt. Soziologe Olaf Kaltmeier, der über die Mapuche promovierte, ist vorsichtig optimistisch: „Das scheint schon ein breites Bündnis zu sein. Aber die politischen Ziele sind noch unklar. Ich halte es zum Beispiel für unrealistisch, einen Mapuche-Präsidentschaftskandidaten aufzustellen.“ Payo Orellana, Chilene und Mitarbeiter der GfbV, ist weniger skeptisch. „Das ist das erste Mal, dass die Mapuche sich unabhängig von Staat, Kirche oder Nichtregierungsorganisationen zusammentun“, ruft er begeistert. Am Rande der Diskussion erzählt jedoch ein junger Chilene, der nicht namentlich genannt werden will, dass viele Kongressteilnehmer Mitglieder der Sozialistischen Partei Chiles sind. Und was stimmt jetzt? „Es gibt keine Wahrheit, wenn es um die Mapuche geht“, sagt er.

Es herrscht Verwirrung in Chile, wie auch im Mehringhof:

Dort hängen nämlich nicht nur die Plakate mit der geschmückten Frau. Auf einem großen weißen Zettel ist zu lesen: „Weg mit der GfbV aus dem Mehringhof.“ Hier geht es nicht um die Mapuche – eine Antifa-Gruppe kritisiert die positive Haltung der Gesellschaft gegenüber dem viel diskutierten Vertriebenen-Zentrum. Am Montag verteilten Mitglieder der Gruppe Flugzettel bei der Eröffnungsveranstaltung.

Die Mehringhof-Verwaltung hüllt sich, wenn es um die Organisatoren geht, in Schweigen. Das Berliner Büro der GfbV besteht nur aus einer Person: Nadine Baumann. Sie hatte die Idee, den chilenischen Kongress in Deutschland mit einer Benefizveranstaltung zu begleiten, und hat auch alles alleine organisiert. Olaf Kaltmeier distanzierte sich jedenfalls vor seinem Vortrag ausdrücklich von der Politik der GfbV-Spitze – erklärt aber dennoch: „Ich fand es sehr gut, dass diese Woche stattfindet, denn in den deutschen Medien wird wenig über die Mapuche berichtet.“

Die Soliparty im Tresor sollte gestern auf andere Weise junge Menschen für das Thema interessieren. „Wenn man in Berlin was macht, muss man sich sowieso immer absetzen, also warum nicht mal Benefiz mit Spaß verbinden?“, sagt GfbV-Mitarbeiterin Baumann. Nur konsequent also, dass auf der Party Oberweltverbesserer Dr. Motte auflegte, der die Verbindung Mapuche-Techno-Tresor erwartbar klasse findet: „Techno ist offen für alles, und wir sind schließlich eine große Familie und müssen uns unterstützen.“ Für die Kritik an der GfbV, in der er selbst Mitglied ist, hat er gar kein Verständnis: „Es geht um die Mapuche und nicht um irgendwelche Streitigkeiten in der Linken.“

Es geht um die Mapuche – was der Veranstaltung allerdings fehle, ist ein politisches Konzept, kritisiert Kaltmeier. Abgesehen von seinem Vortrag sind die Themen tatsächlich eher folkloristisch: Heute informiert zwischen 19 und 20 Uhr ein Vortrag über das religiöse Weltbild der Mapuche, danach wird ein Film über ihre Medizin gezeigt. Morgen erklärt ein weiterer Film zwischen 15 und 17 Uhr das traditionelle Hockeyspiel, dann spielt Live-Musik. Über ihre Schwierigkeiten mit den Forstunternehmen und die politischen Gefangenen wird kaum berichtet. Auf dem Plakat ist eine lächelnde Frau zu sehen – keine vermummten Steinewerfer oder junge Aktivisten in Handschellen.

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