: Verdächtigte Libanesen freigelassen
■ Haftbefehle gegen in Berlin Festgenommene aufgehoben / Keine Beweise für geplante Anschläge Hinweise „befreundeter Dienste“ nicht stichhaltig / Anschuldigungen gegen Libyen ohne Grundlage
Von C. Albrecht und K. Kruse
Berlin (taz) - Noch vor dem eigentlichen Haftprüfungstermin sind am Mittwoch die Haftbefehle gegen drei am 19. August wegen der Verdachts der Vorbereitung eines Sprengstoffanschlags in Berlin festgenommene Libanesen auf Antrag der Staatsanwaltschaft aufgehoben worden. „Die weiteren Ermittlungen haben den bei Erlaß des Haftbefehls am 22. August 1986 bestehenden dringenden Tatverdacht nicht bestätigt“, teilte am Mittwoch der Sprecher der Berliner Justizbehörden, Walter Neuhaus, mit. Die Beschuldigten seien nach ihrer Festnahme mehrmals vom Staatsschutz vernommen worden. „Ihre Erklärung“, so Neuhaus, „mit der Vorbereitung eines Sprengstoffverbrechens nichts zu tun zu haben, kann ihnen auch nach Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden Beweismittel nicht widerlegt werden.“ Die Verhafteten Ali D., Hicham A. und Hussein I. befanden sich seit mehr als zehn Tagen im Hochsicherheitstrakt in Berlin Moabit. Sie hatten Einzelhofgang und wurden voneinander sowie anderen Mitgefangenen streng getrennt. Gegenüber der taz beschrieb Hussein I. seine zweiwöchige Haft im Hochsichheitstrakt als „ver schwinden in einem Grab“. Er habe weder etwas zu schreiben noch eine Zeitung bekommen, noch sonst irgendeine Beschäftigung erhalten. Die Verhöre drehten sich immer nur um den Verbleib eines angeblich bei ihm abgestellten Koffers mit Sprengstoff. Hinweise für eine Entlassung der Libanesen gab es bereits am Anfang der Woche. Doch offensichtlich wurde von den Behörden der Besuch eines Cousins von Hussein I. aus Beirut abgewartet. Dieser wurde am Montag in Frankfurt in Haft genommen und ebenfalls gestern wieder freigelassen. Ali D. und Hicham A. waren auf Grund einer „Warnung“ des Bundeskriminalamtes in einer Großrazzia gesucht und in einem Ausländerwohnheim verhaftet worden, in das sie die Ausländerbehörde eingewiesen hatte. Sie waren erst kurz zuvor zusammen mit Abbas A. über den Ost–Berliner Flughafen Schönefeld und den Grenzübergang Waltersdorfer Chaussee nach Westberlin eingereist und hatten einen Antrag auf politisches Asyl gestellt. Der zusammen mit den anderen Libanesen in dem Hotel festgenommene 19–jährige Abbas A., der sich, wie die Nachforschungen der Polizei ergaben, in Berlin getrennt von den anderen bewegt hatte, war bereits Ende letzter Wo che in den Libanon verbracht worden. Er befand sich, nachdem gegen ihn vom Amtsgericht kein Haftbefehl erlassen worden war, in Abschiebehaft. Gleichzeitig war der seit Jahren mit seiner deutschen Ehefrau und ihren gemeinsamen Kindern in Berlin lebende Libanese Hussein I. in seiner Wohnung festgenommen worden. Er sollte, so der Vorwurf, einen abgehörten Telefonanruf von Zypern erhalten haben. Darin soll ihm mitgeteilt worden sein, daß man beabsichtige, bei ihm einen Koffer gefährlichen Inhalts unterzustellen, den er nicht öffnen sollte. Der Verhaftete leugnete bei den Verhören nicht, gelegentlich mit Verwandten, auch im Libanon zu telefonieren. Ein Gespräch über einen Koffer, der bei ihm abgestellt werden sollte, aber sei nie geführt worden. Der häufig von neu eintreffenden Landsleuten aufgesuchte Libanese bestätigte, daß die Verhafteten Ali D. und Hicham A. bei ihm vorbeigekommen seien. Er habe ihnen die Unterstützung bei den Amtswegen zugesagt, wie er sie auch anderen gewähre, die einen Asylantrag gestellt hätten. Den Hinweis auf die Festgenommenen sowie auf einen weiteren Libanesischen Staatsbürger, nach dem umgehend steckbrieflich gefahndet wurde, hatte das Bundeskriminalamt dem Vernehmen nach von einem befreundeten Nahöstlichen Geheimdienst erhalten. Der Gesuchte und auch ein vermeintlich in Berlin gelagerter Sprengstoffkoffer wurden nicht gefunden. Zeitgleich mit der Freilassung der in Berlin verhafteten Libanesen zeigten sich Bonner Regierungsbeamte im Vorfeld des Besuches des US–Amerikanischen Botschafters für die Vereinten Nationen, Vernon Walters, irritiert, daß die Reagan Regierung die Libyenfrage wieder zur Sprache bringen wollte. „Es gibt keinen Grund, etwas gegen Libyen zu unternehmen, denn es gibt keine neuen Fakten“ zitiert die Washington Post einen nicht namentlich genannten Regierungsbeamten, der heftig Meldungen der US–Amerikanischen Presse widersprach, daß jetzt im Zusammenhang mit den Berliner Verhaftungen Anhaltspunkte dafür vorlägen, die Libyen mit angeblich in Europa geplanten Anschlägen auf US–Amerikanische Einrichtungen in Verbindung brächten. Walters hätte die Europäischen Hauptstädte das letzte Mal unmittelbar vor dem Angriff US–Amerikaschischer Kampfflugzeuge auf die Städte Tripolis und Bengasi besucht. Die Reagan–Regierung rechtfertigte den Angriff mit dem Bombenanschlag auf die Berliner Discothek „La Belle“.
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