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Uganda: Ein Land verpaßt seine Chance

■ Neue Banditenguerilla im Norden / Desolate Wirtschaftslage / Reportage von Knut Pedersen

Am 26. Januar dieses Jahres zogen Yoweri Museveni und seine Soldaten von der „National Resistance Army“ (NRA) nach fünfjährigem Guerillakrieg siegreich in die Hauptstadt Kampala ein, nachdem Uganda 15 Jahre lang nur als Schauplatz endemischer Gewalt existiert hatte. Zwischen 1970 und 85 wurden schätzungsweise 800.000 Ugander massakriert, zunächst unter Idi Amin, der Medienkarikatur des „roi negre“, und dann vollends unbeachtet unter Milton Obote. Aber heute, sieben Monate nach der Machtübernahme Yower Musevenis ist die Siegeseuphorie schon wieder verflogen. Unganda steht vor wachsenden wirtschaftlichen und politischen Schwierigkeiten und vieleicht am Rande eines neuen Bürgerkrieges: Am 20. August haben Anhänger der gestürzten Staatschefs Gulu, die wichtigste Stadt im Norden, angegriffen und kontrollieren seither den Zugang zum Nordwesten des Landes.

Am Abend des 20. August berichtet uns ein Fahrer von den Straßenkämpfen in Gulu, der wichtigsten Stadt im Norden Ugandas. Im Morgengrauen hätten mehrere hundert bewaffnete „Rebellen“ die Stadt angegriffen, seien aber nach dreistündiger Schießerei von den regulären Streitkräften der NRA zurückgeschlagen worden. Yussuf, so der Name des Fahrers, berichtet von mehreren dutzend Leichen in den Straßen von Gulu, die Regierung in Kampala spricht später von dreißig Toten. Erst am Nachmittag hat er es gewagt, die Stadt zu verlassen. „Es fängt wieder an, es geht alles wieder von vorne los“, stöhnt er leise und starrt resigniert in sein Whiskyglas. Seit dem vergangenen Mai sind mehr als hunderttausend „Returnees“ in den Nordwesten Ugandas zurückgekehrt. Die „Heimkehrer“ kamen aus dem Südsudan, wohin sie Anfang der achtziger Jahre geflohen waren, als nach dem Sturz Idi Amins die östlichen Nachbarstämme der Acholi und Lango sengend und plündernd über sie herfielen. Aber Anfang dieses Jahres wurden die Flüchtlingslager der Ugander am Ostufer des Nils von „bewaffneten Banditen“ angegriffen, und so strömten zehntausende praktisch über Nacht zurück in die Heimat, in den „Madi District“. Das Land des Madi–Stammes heißt nun freilich nach der Bezirkshauptstadt „Moyo District“, weil die Regierung Yoweri Musevenis dem „Tribalismus“ den Kampf angesagt hat und, wenn schon nicht der Wirklichkeit, so doch zumindest der Amtssprache die ethnische Polarisierung auszutreiben versucht. Was sucht ein Reporter in dieser Ecke der Welt? Ich wollte wissen, wer die ugandischen Flüchtlinge aus dem Sudan getrieben hatte, wie sie in Uganda aufgenommen worden waren und wo und wovon sie nun lebten. Das Ergebnis: Die Ernährungslage im Südsudan ist inzwischen so schlecht, daß ein regelmäßig beliefertes Flüchtlingslager bereits Neid erweckt. Die „Befreiungsarmee des sudanesischen Volkes“ (SPLA), d.h. die Guerillaarmee John Garangs hat die sudanesischen Acholi bewaffnet, die unter dem Vorwand politischer Überzeugungen nichts eiligeres zu tun hatten, als über die Madi herzufallen. Die Tatsache, daß beide, sowohl Madi als Acholi, diesseits und jenseits der Grenze leben, verknüpft und verwirrt den Norden Ugandas mit der Entwicklung im Südsudan. Im Prinzip und auf dem Papier bereitet die Flüchtlingsorganisation der Vereinten Nationen (UNHCR) die Heimkehr der Madi seit 1983 vor. Als freilich Ende Mai dieses Jahres tatsächlich tausende von „Returnees“ in den Nordwesten Ugandas stürmten, wurde improvisiert. In Kampala wird die ganze Operation als reibungslos verkauft, aber vor Ort erfährt man, daß statt der erwarteten drei Nahrungslieferungen nur eine einzige angekommen sei. Seit dem Angriff auf Gulu ist das Madiland von seiner wichtigsten Zufahrtsstraße abgeschnitten, und die LKWs, die bislang Nahrung verteilten, wurden inzwischen von der NRA für militärische Zwecke requiriert. Goeran Ulfsax, der UNHCR–Verantwortliche vor Ort, zuckt darüber nur die Schultern: „Daß man mir jetzt meine fünf LKWs requiriert hat, ändert auch nichts daran, daß ich von Anfang an mindestens 30 gebraucht hätte.“ Soweit die Story. Doch wie nun nach Kampala zurück kommen? Seit dem Angriff auf Gulu lagen die am 20. August zurückgeschlagenen „Rebellen“ auf den wichtigsten Verkehrsachsen im Hinterhalt. Von einem Tag auf den anderen war der Nordwesten Ugandas erneut unsicher geworden. Dennoch wagten wir es, drei Tage nach dem Angriff der „Rebellen“. Zunächst schien alles wie gewohnt: In den Dörfern winkten uns die Kinde rzu, entlang der Piste marschierten Menschen mit Wasserkrügen, Feuerholz oder riesigen Bündeln auf dem Kopf. Doch schon in Atiak, der letzten größeren ortschaft, 70 km nördlich von Gulu, war die Bevölkerung schon geflüchtet, sehr zum Ärger des NRA–Kommandanten, der mit seinen Soldaten zwischen verrammelten Häusern lagerte: „Wenn die nicht beigeben, dann machen wir keinen Unterschied mehr zwischen Soldaten und Zivilisten, die stecken hier ohnehin alle unter einer Decke“, erklärte er mir grimmig und setzte stillschweigend voraus, daß ich schon wisse, wer gemeint war: die Acholis, der Stamm des von Museveni entmachteten Staatschefs Tito Okello. Hinter Atiak dann nur noch verlassene Dörfer. Lumpenmiliz Dreißig Kilometer vor Gulu sprang plötzlich vor uns ein Mann auf die Piste, kniete sich nieder und zielte mit einer Panzerfaust auf den Kühler unseres Landrovers. Der Wagen war noch nicht zum Halten gekommen, da standen bereits zehn, fünfzehn Männer um uns herum, bewaffnet mit automatischen Gewehren, Handgranaten, Kalschnikovs, aber auch mit Lanzen, Pfeil und Bogen. Nur der Chef sprach etwas Englisch, aber vorläufig gab es auch nicht viel zu verstehen. Der Wagen wurde in Windeseile geplündert, Geld, Tonband, Radio und sämtliche Kleidungsstücke wurden weggestopft und uns dann befohlen, den Wagen quer zur Fahrbahn zu rangieren. Joachim, der ein wenig Acholi verstand, erklärte mir, der Chef hätte den Befehl gegeben, uns zu erschießen, sobald der Wagen die Straße blockiere. Wahr oder nicht wahr? Er warf sich vor dem Chef weinend in den Sand, und das hat uns vielleicht das Leben gerettet. Der Chef der Truppe, der nach eigenem Bekunden „für Tito Okello und gegen die Vorherrschaft des Südens“ kämpfte, befahl uns, im Schrittempo bis auf die Höhe des Baumes zu fahren, wo die Gruppe im Hinterhalt lag. Joachim, zu allem Überfluß ein von den Acholi verhaßter Madi, wurde zum Verhör in die nächste Ortschaft gebracht. Erstaunlicherweise wurde er nicht verprügelt, aber um ihn einzuschüchtern, feuerte man zwei Schüsse an seinem Ohr ab und sperrte ihn für eine Stunde in einen Raum ein, in dem bereits vier Tote lagen. Ich saß unterdessen mit der Truppe im Hinterhalt, einen Gewehrlauf im Rücken, aber ansonsten unbehelligt. Ein „Boy Soldier“, wie ich sie bislang nur in den Reihen der NRA gesehen hatte, verteilte Toilettenpapier oder was als Ersatz fungiert: die Blätter einer Multiplikationstafel, die wohl der Altersstufe des jungen Kämpfers entsprach, der nur knapp größer war als sein aufgestelltes Gewehr. Kaum jemand trug Schuhe oder gar irgendeine Uniform, lediglich ein ander Schulter festgebundenes rotes Band machte vagen Zusammenhang kenntlich. Alles erinnerte an kunterbunte Soldateska, oder wie der Ugander Ali Mazrui mit Blick auf sein Heimatland am 3. Oktober 1972 im breitischen „Observer“ schrieb: So sieht das „Lumpenmilitariat“ aus. Kurze Zeit nach uns geriet ein aus Gulu kommender LKW in den Hinterhalt, wie zuvor stoppte der Fahrer, die Reisenden ergaben sich sofort. Alles schien unter Kontrolle, als plötzlich ein Soldat die Fassung verlor und einen der gefangenen Männer ohne ersichtlichen Grund erschoß. Er wurde dafür vom „Chef“ mit fünf Stockhieben bestraft. „No order, no kill“, wie mir mit sinnigem Grinsen mein Wächter erklärte. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit schickt man uns zurück, um „denen in Atiak zu sagen, daß keiner mehr nach Gulu durchkommt“. Das Darf man getrost glauben, denn auf dem Rückweg wurden wir noch mindestens zehn Mal von „Rebellen“ angehalten, denen wir immer aufs Neue erklärten, daß bei uns nichts mehr zu holen war. Angst haben wir gleichwohl gehabt, vor allem als ein offensichtlich betrunkener Soldat meinen Begleiter anbrüllte: „Du bist ein Madi, ich knall dich ab.“ Neuer Zyklus der Gewalt Sind die Verhältnisse im Norden Ugandas tatsächlich ein Problem der Acholi? Selbst wenn dem so wäre, kann man befürchten, daß das VBerhalten der NRA–Armee einen neuen Zyklus von Gewalt eröffnet. Vor allem dann, wenn die NRA, die sich mindestens zur Hälfte aus südlichen Bagandern rekrutiert, in den Acholi– Hütten nach Waffen sucht - und zwangsläufig welche findet, weil in beinahe jeder ugandischen Hütte Waffen versteckt sind. Vieles spricht aber dafür, daß die wieder aufflackernde Gewalt nicht allein von den Acholi ausgeht. Bewaffnete Überfälle und Anschläge häufen sich überall im Land, selbst im Süden und sogar im Ankole–Land, aus dem Yoweri Museveni stammt. Als es mir schließlich nach zwei Wochen gelang, über Arua aus dem Nordwesten nach Kampala zu kommen, wurde der LKW, auf dem ich mit 30 anderen Menschen hockte, aus dem Hinterhalt beschossen. Wenige Tage zuvor war auf der gleichen Strecke der Autobus gestoppt und überfallen worden. Niemand veramg zu sagen, ob diese Unsicherheit politisch ist, oder ob es sich nur um „Banditentum“ handelt. Noch ist die Katastrophe keine Gewißheit, aber in vielerlei Hinsicht steht Uganda heute am Scheideweg. Dabei hat es an gutem Willen nicht gefehlt: Die „historische“ NRA hat seit der Machtübernahme alle möglichen Fraktionen, Miulizen und Opportunisten „integriert“, nicht selten ihre Gegner von gestern. Moses Ali, der frühere Finanzminister Idi Amins, ist heute Minister für Tourismus und seine Gefolgsleute patroullieren in Yumbe, im Nordwesten, ohne daß die NRA irgendwelchen Einfluß auf sie auszuüben vermöchte. Solche Form von „integration“ stößt dann wiederum bei den jungen Bagandern, die den Kern der „historischen“ NRA bilden, auf Unverständnis und Ablehnung. Die „neuen Elemente“ halten sich kaum an den Verhaltenskodex, dank dessen die NRA während des Befreiungskampfes auf Unterstüzung oder zumindest Respekt von Seiten der Bevölkerung rechnen konnte. Es ist heut enicht mehr selten, von einem hoffnungslos betrunkenen NRA–Soldaten kontrolliert zu werdne, und was da reklamiert und konfisziert wird, ist beileibe nicht immer korrekt. Fehlendes Wirtschaftsprogramm Der Kern des ugandischen Problems ist heute ökonomischer Natur. Die Museveni–Regierung hat eine historische Chance verpaßt, insofern es ihr nicht gelungen ist, die siebenmonatige Pause im Bürgerkrieg seit vergangenem Januar dazu zu nutzen, das Land auf den Pfad einer, wenn auch bescheidenen, Prosperität zu führen. Aus doktrinärer Borniertheit wurden drei Haushaltsentwürfe des liberalen Finanzministers Prof. Ponsiano Mulema verworfen. Dem Schwarzmarkt, dem einzig noch funktionierenden Markt, wird der Kampf angesagt, statt um Leitlinien für eine zumindest mittelfristige Wirtschaftsplanung dreht sich das Budget um Lappalien wie die Erhöhung der Tabak– und Alkoholsteuer. Und die Finanzkrise des Landes wurde dadurch „gelöst“, daß die Regierung die Dollarparität einseitig von 4.900 Shilling auf 1.400 Shilling festsetzten - eine mehr als dreihundertprozentige Aufwertung der Landeswährung, die freilich nur auf dem Papier existiert. Auf dem Schwarzmarkt, der mehr Sinn für die Wirklichkeit beweist, wird seit der Veröffentlichung des neuen Währungskurses der Dollar statt wie bisher für 7.500 Shilling nunmehr für 10.000 Shilling gehandelt. Unterdessen kann von politischen Problemen nur endlos oder gar nicht die Rede sein, insofern sieben Monate nach dem Sieg der NRA noch immer nicht klar ist, wer in welchem institutionellen Rahmen eigentlich Politik macht. Rhetorisch steht ein Modell partizipativer Basisdemokratie im Vordergrund, auf allen Verwaltungsebenen werden sogenannte „Widerstandskomitees“ eingerichtet. Tatsächlich aber geht die Macht vom „nationalen Widerstandsrat“ aus, von dem nicht einmal die genaue Zusammensetzung bekannt ist. Politik wird als Pressekampagne, Manöver oder Intrige betrieben, gelegentlich spricht der Präsident ein Machtwort. Hoffnung im Luwero–Dreieck Doch das andere Uganda, das der Hoffnung und des Aufbaus, ist noch nicht völlig verschwunden, wie eine Reise ins Luwero–Dreieck zeigt. In diesem fruchtbaren Gebiet nordwestlich der Hauptstadt begann Yoweri Museveni seinen Guerillakrieg, und kein anderer Landesteil in Uganda hat für die Hoffnung auf einen Neuanfang, auf Frieden und Demokratie mehr gelitten als die Bevölkerung im Luwero–Dreieck. Am Rande der Straße sind Karrees aus Totenköpfen als Mahnmal hergerichtet, ein morbider und hoffnungsloser Versuch, sich gegen die Schwäche menschlicher Erinnerung zu wappnen, zumal mit den Totenköpfen der Luwero–Opfer längst ein lukrativer Handel betrieben wird, sie werden lasterweise nach Kenia gebracht. Ein Freund in Nairobi erzählte mir kürzlich von seinem Grauen, als er bei einem neureichen Geschäftsmann den mit Totenköpfen angelegten „französischen Garten“ bewundern sollte. Doch die Menschen sind voller Elan und Zuversicht. Überall wird gehackt, gejätet und angebaut, von der üppigen Natur überwucherte Felder werden erneut urbar gemacht. Sicherheitsprobleme gibt es hier nicht, keine Straßensperren, die Soldaten sind freundlich und die Bevölkerung ist der Regierung dafür dankbar, in Ruhe und Frieden leben und arbeiten zu können. Während sich anderswo im Lande die einstige Zuversicht nur noch als verlorene Illusion zu erkennen gibt und im Norden bereits wieder gekämpft wird, krempeln hier Menschen die Ärmel hoch, lassen den Schrecken hinter sich und vertrauen auf eine bessere Zukunft. Es ist eine schmerzliche Vorstellung, sie könnten um diese bessere Zukunft bereits betrogen sein.

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