: Schnell ist nicht sofort
„Sofortiger Ausstieg aus der Atomenergie“, das ist die Forderung der Grünen seit Tschernobyl. Nur: heißt sofort auch wirklich sofort? Oder schnell? Oder kurzfristig? Oder baldmöglichst? Die Fraktion versteht unter sofortigem Ausstieg einen Zeitraum zwischen sechs Monaten und einem Jahr und stützt sich dabei auf Öko–Gutachten. Sofortiger Ausstieg hieße dann eigentlich kurzfristig oder eben schnell. Die Formel vom sofortigen Ausstieg läßt so programmatisch Interpretationsspielräume offen. Jetzt hat der neugewählte Sprecher Willi Hoss auf seiner ersten Pressekonferenz vom „schnellen Ausstieg“ gesprochen und dabei einen Zeitraum von vier bis sechs Jahren genannt. Die anderen Mitglieder des Fraktionsvorstandes wurden auf der Pressekonferenz bleich und korrigierten: Als Maximalzeitraum habe man bisher an einen Zeitraum von zwei Jahren gedacht. So weit, so gut. Bald darauf tickerten die Agenturen eine Wende grüner Politik durch Presse und Funk. Die Fraktion korrigiere ihre bisherige Position, so dpa, sie halte einen schnellen Ausstieg innerhalb von zwei Jahren für möglich, und: „Im Hinblick auf eine mögliche Zusammenarbeit mit der SPD nach den Bundestagswahlen im Sommer ist sie von der Forderung nach einem sofortigen Ausstieg abgerückt, um einen Spielraum für Koalitions– und Tolerierungsgespräche zu lassen.“ Große Aufregung auf der Fraktionssitzung. Lange wird über drei Sätze einer Presseerklärung diskutiert, die die Sofortposition bekräftigen soll. Satz für Satz wird sie schließlich ohne Gegenstimmen abgestimmt.: „Die Grünen im Bundestag halten an ihrer zentralen Forderung fest, sofort aus der Atomenergie auszusteigen. Insofern kann auch keine Rede davon sein, daß sich die Grünen in irgendeiner Weise an das mittel– bis langfristige Konzept der SPD angenähert hätten oder sich annähern wollten.“ Wirklich nicht? War also alles nur ein Versehen? Tatsächlich hat Willi Hoss im Hinblick auf eine Zusammenarbeit mit der SPD nur offen ausgesprochen, was hinter vorgehaltener Hand längst als mögliche Verhandlungsmasse gehandelt wird. Ursel Sieber
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