: Einstieg ins „Aus“ für den SFB–Frauenfunk
■ Die Berliner Frauensendung „Zeitpunkte“ soll wegen „Strukturreform“ auf den unbedeutenderen SFB1 abgeschoben werden / Eine Hörerinnen–Initiative will mit Unterschriftensammlungen den Programm–Machern auf die Pelle rücken
Aus Berlin Gunhild Schöller
„Wenn die Zeitpunkte in ihrer Sendung diese Veranstaltung hätten bekanntgeben dürfen, dann hätten wir eine Kirche gebraucht, so viele Frauen wären gekommen.“ Ilse Reichel–Koß, SPD– Abgeordnete im Berliner Abgeordnetenhaus, Ex–Senatorin und Vorsitzende des Kreises Neue Erziehung, bringt die „Erfolge“ der Schweigepflicht um die Entscheidungen, die zur Zeit beim Sender Freies Berlin (SFB) gefällt werden, auf den Punkt. Der Redaktion der Zeitpunkte - dem SFB–Frauenfunk -, die ausschließlich aus Frauen besteht, wurde verboten, darüber zu berichten, wie sehr ihre Sendung (dienstags bis freitags von zehn bis elf Uhr morgens) von den Programmoberen gefährdet wird kunststück, in den entscheidenden gremien hocken nur typen. d.sin.. Schweigen muß sie auch zu der Hörerinnen–Initiative, die sich gegründet hat, um Erhalt und Ausbau der „Zeitpunkte“ zu fordern. So treffen sich ungefähr 150 Frauen aller Altersgruppen im großen Saal des „Hauses der Kirche“ und beratschlagen, was frau tun könne, um auch über den 1. Januar 1987 hinaus in den Hörgenuß der Sendung zu kommen. Sie sprechen für sich als Hörerin oder als Vertreterin der 23 Frauengruppen, die sich - in der Bundesrepublik bislang einmalig - zu dieser Hörerinnen–Initiative zusammengeschlossen haben. Eine Vertreterin des Landesfrauenrats, wiederum ein Dachverband von 30 - überwiegend traditionellen - Frauen, tritt ans Mikrophon und erzählt von ihren verbandsinternen Diskussionen: „Trotz der Unterschiedlichkeit der Verbände und der entsprechend kontroversen Meinungen, die es bei uns gibt, war die Haltung zu der drohenden Abschiebung der Zeitpunkte eindeutig. Wir lehnen dies ganz klar ab.“ Noch senden die Zeitpunkte auf der populären Welle SFB 2. Ein Team von Frauen demonstriert beispielhaft, daß „Frauenthemen“ kein Minderheitenprogramm sind. Die „allgemeine Politik“ betrachten und kommentieren sie mit dem Blick von Frauen. Und bei den traditionellen „Frauenthemen“ zeigen sie, welche Bedeutung sie für „das Allgemeine“ haben. Damit sind sie näher an der Hörerin (und auch vielen Hörern) als die meisten anderen SFB–Sendungen. Die Zeitpunkte haben die zweit– bzw. dritthöchsten Einschaltquoten des SFB. Aber spätestens seit die seichte Plätscherwelle der Konkurrenz, „Radio im amerikanischen Sektor“, Rias 2, dem unter Lothar Loewe dahinsiechenden SFB dramatische Hörerverluste bescherte, wird im Rahmen einer grundlegenden „Programmstrukturreform“ am Stuhl der Zeitpunkte gesägt. SFB 2 soll genauso locker–flockig werden, da paßt ein „Programm– Blocker“ mit Wortbeiträgen, die die Drei–Minuten–Grenze überschreiten und mit Musik, die sich auf die Themen bezieht, nicht ins Konzept. Die Zeitpunkte sollen deshalb auf SFB 1, einer betulichen Welle für das ältere, gesetztere Publikum, abgeschoben werden. Kritische Beiträge zwischen Almjodler und deutschem Schlager - da schwinden die Hörerinnenzahlen. Der Einstieg in das endgültige „Aus“ für die „Zeitpunkte“ wird so von den Männern ganz oben in der SFB–Hierarchie vorbereitet. „Wer heute eine Strukturreform macht, bei der die Frauen rausfallen, der wählt die falsche Struktur.“ Aber Ilse Reichel–Koß kann ihre klare Position mit keinem der dafür Verantwortlichen diskutieren. Programmdirektor, Hauptabteilungsleiter, Intendant - alle haben sie gekniffen. Stattdessen schrieben sie förmliche Ablehungen - die Sorgen der Frauen basierten nur auf Gerüchten, eine Entscheidung sei noch nicht gefallen. „Wenn das alles nur Gerüchte sind, warum dementieren sie sie dann nicht?“ fragt eine Frau aufgeregt. „Und wie lange sollen wir noch warten, bis wir Informationen bekommen?“ wirft eine andere ein. „Die tagen in nicht–öffentlichen Sitzugnen und bekanntgegeben wird nur die endgültige Entscheidung. Aber dann ist es zu spät.“ „Wir haben die Anweisung erhalten, nichts zu sagen. Wir bitten euch deshalb, unser Schweigen nicht als Desinteresse mißzuver stehen.“ Zwei Sätze darf eine Mitarbeiterin der Zeitpunkte für die gesamte Redaktion sagen. Den Redakteurinnen und Journalistinnen wurde gerade noch erlaubt, anwesend zu sein. Die Hörerinnen sind enttäuscht. Auch die Gespräche am Rande der Versammlung führen kaum weiter. „Ich möchte hier jetzt nichts weiter sagen.“ Eine Zeitpunkte–Journalistin im Vorraum, wo alle zusammenstehen und rauchen, ist sehr vorsichtig. „Wir werden hier bestimmt beobachtet. Wenn du noch was wissen willst, ruf mich lieber morgen früh zu Hause an.“ So entscheiden die Hörerinnen alleine. Sie schreiben einen Offenen Brief an die Programmverantwortlichen und fordern eine klare Antwort binnen einer Woche. Und sie wollen eine Unterschriftensammlung nach dem Schneeballprinzip starten. „Wir wollen denen eine Flut von Briefen ins Haus schicken, sie sollen nicht mehr dran vorbeikommen. Wir geben diesen Entscheidungen unsere Öffentlichkeit.“
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