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G A S T K O M M E N T A R Merker und Täter

■ Zum Ausstieg der Hamburger Genossen

Da sind sie also rechtzeitig vor der Bürgerschaftswahl im November noch aufgewacht, die Genossen im Hamburger Senat: Sie wollen raus aus der Atom–Energie. „Guten Morgen, Herr v. Dohnanyi“, möchte man rufen, „lange genug geschlafen haben Sie ja“. Mindestens fünfeinhalb Jahre. Damals nämlich beerbte v. Dohnanyi den Bürgermeister Hans–Ulrich Klose und verordnete der Atom–Debatte eine Überdosis Valium Nr. 10. Wir erinnern uns: Klose mußte seinen Sessel räumen, weil er das Signal von Harrisburg ernst genommen hatte und mit Brokdorf kein weiteres Atomkraftwerk bauen wollte. Damals waren noch nicht mal die Betonmischmaschinen angeworfen. Doch Helmut Schmidt, Hans Apel und all die anderen atomhörigen Genossen bliesen zum Sturm, der die Hamburger SPD schnell einknicken ließ. Kein Wunder, denn Mut hatte sie noch nie gehabt, diese CSU des Nordens; Visionen schon gar nicht. So wundert es auch nicht, wenn die Hamburger Spitzen– Genossen ausgerechnet jetzt den Sinn fürs Opportune entdecken. Nach Tschernobyl, nach dem SPD–Parteitag in Nürnberg, vor allem aber nach dem endgültigen Umkippen der öffentlichen Meinung wollen sie vorführen, daß sie die Zeichen der Zeit verstanden haben. Daß der Ausstieg inzwischen einige Milliarden teurer ist als vor fünf Jahren, wen kümmert das in der sowieso überschuldeten Stadt; daß das neue Konzept wieder nur die alten Fragen stellt, merken diesmal aber hoffentlich viele: wo man juristisch ansetzen muß, wie man die Kapazitäten ersetzen kann oder warum ein Alleingang Hamburgs mindestens schwierig ist. Dies alles wurde schon durch Klose erschöpfend beantwortet. Die juristis werden. Dort setzen sie seit 1981 Staub an. Damit also kann v. Dohnanyi keine Zeitverzögerungen begründen. Gefragt sind jetzt nicht mehr die Experten, gefragt sind mutige Politiker, die die Hintertüren zulassen, die nicht zehn Vorbilder brauchen, um selbst mal was zu wagen. Die einfach handeln. Dann würde sich schnell zeigen, daß all die Drohgebärden der Ausstiegs–Gegner nichts wert sind. Gefragt wäre ein Täter, wie es damals Hans–Ulrich Klose war, und nicht ein Merker, wie Klaus v. Dohnanyi es ist. Doch leider, auch das lehrt uns diese Geschichte: Die Merker leben in der Politik meist viel länger als die Täter. Manfred Bissinger Manfred Bissinger war Senatspressesprecher und persönlicher Referent von Bürgermeister Klose. tazintern

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