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Andropows Enkel verteilen die Macht

■ Das Führungsquartett im Kreml strebt auseinander / Gorbatschows Einfluß ist begrenzt / Der Widerstand gegen Reformen organisiert sich / Ist Daniloff ein Spielball im internen Machtpoker? / Der Chefideologe Ligatschow bedrängt den Generalssekretär Gorbatschow / Dessen Schicksal hängt von der Wirtschaftsreform ab

Von Florian Bohnsack

Berlin (taz) - Zwei Tage hatte der sowjetische Geheimdienst Zeit, das Attentat vorzubereiten: Am Freitag, dem 4. September hatten fünf bundesdeutsche Diplomaten den sowjetischen Sicherheitsbehörden ordnungsgemäß mitgeteilt, daß sie am Sonntag das 85 Kilometer nordöstlich von Moskau in der Stadt Sagorsk gelegene Dreifaltigkeitskloster besuchen wollten. Als sie dann in Sagorsk waren, wurde auf den Sekretär dritter Klasse Horst Schwirkmann ein Senfgas–Attentat verübt. Die Diplomaten waren Deutsche, Schwirkmann in Wahrheit ein Abwehrfachmann, der die bundesdeutsche Botschaft vor Abhöraktionen des KGB sichern sollte. Und: Man schrieb das Jahr 1964. „Der Abrechnung zwischen Geheimdiensten“, wie es Le Figaro nannte, folgte eine heftige Debatte zwischen deutschen Politikern und Bundeskanzler Erhard. Während der weiter an dem zunächst für Oktober geplanten Chruschtschow–Besuch in der BRD festhalten und das Attentat damit nicht in Verbindung bringen wollte, drängten die damaligen Fraktionschefs aller Parteien im Bundestag, Barzel, Erler und v. Kühlmann–Stumm auf die Zurückziehung der Einladung. Das Problem löste sich auf, als ZK– Sekretär Suslow, unter Breschnew Chefideologe der KPdSU Chruschtschow am 13. Oktober stürzte. Wie dieser Fall vor 22 Jahren, so ist auch die Verhaftung des Journalisten Daniloff in Moskau eine Revanche–Aktion des KGB gewesen. Nur wurde sie jetzt spiegelbildlich zur Aktion der anderen Seite, diesmal des FBI, durchgeführt. Nahezu jedes Detail der Verhaftung des sowjetischen UNO–Mitarbeiters Gennadi Sacharow und die nachfolgenden Abläufe wurden bei Daniloffs Verhaftung durch den KGB wiederverwandt. Bis hin zu der Versi cherung Reagans, daß Daniloff kein Spion sei, der Gorbatschow am Donnerstag in einer Fernsehdiskussion entgegensetzte, er, Gorbatschow wisse, daß es sich bei Daniloff um einen Agenten handle. Was eigentlich treibt den Parteichef der KPdSU dazu, mit diesem Polit–Ping–Pong die gerade in Genf begonnenen Abrüstungsgespräche zu gefährden und damit die Chancen für ein weiteres Gipfeltreffen zu verspielen? Der Schlüssel zu dieser Frage kann nur in der sowjetischen Innenpolitik liegen. Denn die Zielstrebigkeit, mit der sich die sowjetische Führung auf dem außenpolitischen Schachbrett bisher bewegt hat, vor und nach ihren Festlegungen auf dem 27. Parteitag, schließen eine absichtliche ernste Gefährdung der Beziehungen zu den USA zumindest durch Gorbatschow aus. Er braucht den Gipfel und die Erfolge in einer Rüstungsbegrenzungspolitik nicht nur, um das Militär ruhigzustellen, sondern auch, um die Wirtschaftsreform weitertreiben zu können. Denn wie nie zuvor in der Sowjetunion ist die Außenpolitik mit der Außenwirtschaft gekoppelt und schlägt diese auf die Innenpolitik zurück. Die geplanten Reformen hängen zu einem großen Teil von der Außenwirtschaft der UdSSR ab, über die die nötigen Devisen für das Modernisierungsprogramm in das Land fließen sollen. Doch die Sowjetunion produziert kaum etwas, was auf dem Weltmarkt wirklich gefragt wäre. Rund 60 Prozent ihrer Exporte in kapitalistische Länder sind Öl und Gas. Der Preissturz für Öl und Erdgas wird in die Devisenkassen ein riesiges Loch reißen. Etwa ein Viertel der Einnahmen von 1985, etwa sieben Milliarden Dollar, werden zum Jahresende fehlen. Gegenwärtig muß das Außenhandelsministerium in Moskau für ein und das selbe Importgut fünf mal mehr Barrel Öl ausgeben als noch Anfang 1985. Gleichzeitig ist durch den Rückgang des Ölpreises der sowjetische Waffenverkauf an die „Dritte Welt“ um ein Viertel zurückgegangen. Die Waffenlieferungen machen immer noch ein Fünftel des Gesamterlöses der Devisenexporte aus und vergrößern so das Loch in der Kasse. Durch die zwar verplanten, doch nicht vorhandenen Devisen wird auch der erst im Februar verabschiedete Fünfjahrplan gefährdet. Nikolai Ryshkow, der Ministerpräsident der UdSSR, hatte damals dem 27. Parteitag in seinem wirtschaftsplan für 1986 bis 1990 ganze 4,1 Prozent Wirtschaftswachstum gegen 3,1 Prozent im letzten Planjahrfünft vorausgesagt. Doch dessen Grundlage waren noch Export–Import– Berechnungen, die heute längst illusorisch sind. Er will die fehlenden Importe durch Kredite ausgleichen und diese auf dem Weltmarkt aufnehmen. Ein Unterfangen, zu dem sich die UdSSR wirtschaftspolitisch stärker in das internationale Markttreiben im und um das GATT einreihen muß, weshalb Ryshkow die Außenpolitik Gorbatschows stützt. Er war erst nach der Geheimrede Chruschtschows in die KPdSU eingetreten, und dann im Kampf um die ersten Plätze in der Nomenklatura im Schatten des langjährigen Kronprinzen Andrej Kirilenko aufgestiegen. Als Kirilenko von Tschernjenko ausgebootet wurde, übernahm Andropow seine Hausmacht. Er machte den Wirtschaftsfachmann überhaupt erst zum ZK–Sekretär, wohl weil Ryshkow kein eigenes politi sches Profil zeigte, aber dem neuen Kurs und den neuen Leuten gewogen war. Und nach wie vor ist dessen innenpolitische Ambition auf das Gelingen der Wirtschaftsreform gerichtet und damit auf das Gelingen der Außenpolitik. Gorbatschow bedrängt Querschüsse sind da schon eher vom zweiten Mann der Partei zu erwarten, Jegor Ligatschow. Schon von Amts wegen ist er mit dem Fall Daniloff/Sacharow beschäftigt. Als ZK–Sekretär für Ideologie, Kaderfragen und Außenpolitik und als Vorsitzender der außenpolitischen Kommission des Allunionssowjets. Allein die Kombination von Ideologie, Kaderpolitik und Außenpolitik ist pikant. Damit haben sich die Widersacher Gorbatschows unter den Enkeln Andropows den Zugang zu allen Politikfeldern gesichert. Zwar sind die Differenzen zwischen dem ersten und dem zweiten Mann noch nicht häufig zu Tage getreten, aber wie Suslow, der nach dem 22. Parteitag 1961 eine einflußreiche Schicht Parteibeamten und Teile der Ministerialbürokratie hinter sich vereinigte, die sich gegen Chruschtschows Reformen wandten, sammelt auch Ligatschow die parteiinterne Opposition hinter sich. Sie setzt sich hauptsächlich aus dem Mittelbau der Ministerien zusammen, kleineren Beamten, die ihren Aufstieg unter Reformen erschwert sehen und zu Breschnews Vetternwirtschaft zurückkehren möchten. Ligatschow ist dagegen bisher immer mit der Bürokratie hart umgesprungen, obwohl er im Gegensatz zu Ryshkow und Gorbatschow nicht auf das Mittel der zentralen Kontrolle verzichten will. Und er war es auch, der den landesweiten Kampf gegen den Alkoholismus durchsetzte. Schon zu Beginn der siebziger Jahre hatte er in seinem Heimatgebiet Tomsk in Sibirien damit Erfolge, deren Ergebnisse in die Gesetze zur Bekämpfung der Trunksucht einflossen und sie wesentlich prägen. Zurück aus Sibirien Der machtpolitische Konflikt zwischen ihm und Gorbatschow scheint vorprogrammiert. Auch Ligatschow ist ein Enkel Andropows, allerdings in Sachen Parteichef ein gebranntes Kind. Chruschtschow hatte ihn nach Moskau geholt, als Kämpfer gegen Korruption und Disziplinlosigkeit, dann wurde er nach Sibirien abgestellt. Als Komsomolchef hatte man ihn in Stalins Ära wegen voshdism (anmaßendem Führungsstil) abgesetzt. Mit diesen Charakterzügen scheint es nicht unwahrscheinlich, daß Ligatschow die Entscheidungen im Fall Daniloff getroffen hat. Denn während der Fall seine Kreise zog, war Gorbatschow im Urlaub, mithin vielleicht nicht einbezogen. Allein freilich hat er das nicht bewerkstelligt, KG–Chef Tschebrikow wird ihm dabei geholfen haben. Er ist der wahre Enkel Andropows, hat er doch den Geheimdienstapparat zur Verfügung bekommen. Daß Tschebrikow zum Führungsquartett der Sowjetunion gehört, macht die gestiegene Macht des KGB in der sowjetischen Innenpolitik deutlich. Dreimal so viel KGB–Generäle wie vor zwanzig Jahren gehören nun dem Obersten Sowjet an, 14 KGB–Chefs der Sowjetrepubliken sitzen in den dortigen Politbüros. Kein Wunder, daß der oberste KGB–Mann gelassener als seine Vorgänger an die Arbeit gehen und er sich ganz im Sinne Andropows für den gesellschaftlich dringenden Umbau engagieren kann. Er war es aber mit Sicherheit auch, der den Anstoß zur Ausweitung der Affäre um die Festnahme seines mutmaßlichen Mitarbeiters Gennadi Sacharow gegeben hat. Denn bisher hat der KGB jeden seiner sowjetischen Spione zurückgeholt, wenn es Schwierigkeiten gab. Meist wurden diese ohnehin von den ausspionierten Staaten ausgewiesen.

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