: Keine Heimat für „Neue Heimat“
■ Aktuelle Stunde im Bundestag / Widersprüche an Vorbehaltsklausel in Kaufvertrag / Berliner SPD–Politiker als Geschäftsführer im Gespräch / Schiesser ist kein „Sanierungshai“ meint Berlins Bausenator
Von Wolfgang Zügel Berlin (taz) - In einer aktuellen Stunde beschäftigte sich gestern der Bundestag mit dem Verkauf der Neuen Heimat an den Berliner Brotfabrikanten Schiesser. Wohnungsbauminister Schneider kritisierte die „Nacht– und Nebelaktion“, mit der sich der DGB aus der Verantwortung stehlen wolle. Der Präsident des Mieterbundes Jahn (SPD), sagte, die Mieter müßten sich keine Sorge machen. Widersprüchlich waren gestern die Meldungen über die Zustimmung der Gläubiger–Banken zu dem Verkauf der Neuen Heimat. Der Abteilungsleiter für gewerkschaftliche Beteiligungspolitik beim DGB–Vorstand, Hüwe, sprach von einer Klausel im Kaufvertrag, derzufolge die Gläubiger–Banken dem Verkauf zustimmen müßten, andernfalls wäre der Kaufvertrag hinfällig. Dies wurde von Schiessers Steuerberater bestritten. Von Seiten der gewerkschaftseigenen Beteiligungsgesellschaft für Gemeinwirtschaft (BGAG) hieß es dagegen, Hüwe habe offenbar gemeint, ohne die Banken gebe es keine Lösung. Dagegen behauptete IG–Chemie Chef Rappe, die Gläubiger–Banken hätten inzwischen zugestimmt. Fortsetzung auf Seite 2 Kommentar Seite 4 Foto: Dirk Eisermann / argus Montage: taz
Damit wurde deutlich, daß der spektakuläre Verkauf der Neuen Heimat keineswegs gelaufen ist. Auf einer Veranstaltung in Duisburg verteidigte DGB–Chef Breit abermals den Verkauf, nur so sei die Sozialbindung für die Mieter sichergestellt, und drückte seine Hoffnung aus, auch die Arbeitnehmervertreter im NH–Aufsichtsrat würden dem Handel zustimmen. Der Berliner Bausenator Wittwer äußert sich positiv nach einem Gespräch mit Schiesser. Er habe nicht den Eindruck, es handele sich bei Schiesser um einen „Bau hai“. Der Mann wolle „sanieren und nicht liquidieren“, meinte Wittwer und er wollte ausschließen, daß hinter Schiesser eine Sanierungsfirma stehe. Er habe mit ihm vereinbart, sich nach Einsicht in den Kaufvertrag zu weiteren Verhandlungen zu treffen. Das Land Berlin habe weiterhin Interesse an einer Übernahme der Neuen Heimat Berlin. Unbestätigt blieben dagegen Berichte, der frühere Berliner Abgeordnete Wurche (SPD), der auch im Berliner Parteispendenskandal verwickelt ist und auf der Liste des Baulöwen Franke steht, sei in die Geschäftsführung des neuen Konzerns berufen worden. Unterschiedlich waren auch die Reaktionen in den Bundeslän dern. Für Schleswig–Holstein kündigte Innenminister Claussen in einer Regierungserklärung an, die Wohnungsbaukreditanstalt habe der Neuen Heimat Nord die Darlehen in Höhe von rund 100 Millionen Mark fristlos gekündigt. Auf diese Weise solle die Sozialbindung von 16.000 Wohnungen auf die nächsten zehn Jahre sichergestellt werden. Herbe Kritik mußte sich der DGB von niedersachsens Sozialminister Schnipkoweit (CDU) gefallen lassen. In einer Landtagsdebatte meinte er, „ich persönlich hätte es nie für möglich gehalten, daß Gewerkschaften zu derartigem Handeln fähig sind“. Für Nordrhein–Westfalen erklärte Städtebauminister Zöpel (SPD), die Verhandlungen über die von Schiesser nicht gekaufte Regionalgesellschaft seien vorerst ausgesetzt. Er hielt es aber für denkbar, daß die 43.000 Wohnungen in NRW von der BGAG ebenfalls an den Brotfabrikanten verkauft würden, wenn die Verhandlungen mit der Landesregierung scheitern sollten. Ziel der Regierung sei es, die Sozialbindung dauerhaft zu erhalten. Die Regionalgesellschaften der Neuen Heimat NRW und Südwest waren bislang bei dem Schiesser–Deal ausgespart. Grüne: NH Südwest neu aushandeln Während der hessische Finanzminister Hans Krollmann (SPD) in einer Debatte in Wiesbaden aus führte, daß die Landesregierung weiterhin gewillt sei, die Neue Heimat Südwest zu erwerben, mahnten die Grünen die von ihnen mitgetragene Regierung zur Vorsicht. Der fundamentalistisch orientierte Abgeordnete Kuhnert wandte sich scharf gegen den Versuch des DGB, die Landesregierung zu „erpressen“. Kuhnert spielte damit auf eine Erklärung von DGB–Chef Ernst Breit an, der für den Fall, daß die Bundesländer Hessen und NRW „Schwierigkeiten“ machen sollten, den Verkauf der Rest–NH gleichfalls an „Herrn Schiesser“ angedroht hatte. Nach Auffassung der Grünen stehe der Kaufpreis - nach dem Schiesser–Geschäft - neu zur Disposition. Kuhnert führte aus, daß eine Summe von 160 Millionen DM inclusive freier Rücklagen „dem Geschäft angemessen sei“. Schiesser habe pro Wohnung rund 500 DM bezahlt; das Land Hessen, respektive der Steuerzahler müsse dagegen - sollte es bei den 298 Millionen bleiben - 5.000 DM pro Wohnung berappen. Bereits am Dienstag hatten die Grünen in einem Koalitionsgespräch dem sozialdemokratischen Partner die Zusage für einen Nachtragshaushalt in Sachen „Energiewende“ in Hessen abgehandelt. Die 250 Millionen DM für diesen „Energiewendehaushalt“ waren der Preis dafür, daß die Grünen in bezug auf den Ankauf der Neuen Heimat Südwest „bei der Stange blieben“.
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