I N T E R V I E W Hoffnungsschimmer Rau

■ Interview mit dem Wahlforscher Manfred Güllner, Chef des Dortmunder Forsa–Instituts, zur Situation der SPD

taz: Herr Güllner, Kanzlerkandidat Rau spricht auch nach der bayerischen Wahl noch vom Kampf um die „eigene Mehrheit“. Was halten Sie davon? Güllner: Nun, ein Wahlkämpfer kann wohl kaum etwas anderes tun, selbst wenn die Wahrscheinlichkeiten gegen Null sinken. Ist in Bayern die SPD als Programmpartei gescheitert? Hat die Nürnberger „energiepolitische Profilierung“ nicht geradezu kontraproduktiv gewirkt? Mein Eindruck ist, daß Nürnberg eher eine Veranstaltung für den harten Kern der Funktionäre der SPD und vielleicht noch für ein paar Stammwähler gewesen ist. Für die Mobilisierung großer Wählermassen hat Nürnberg keine Wirkung gehabt. Mir scheint, daß die SPD die Politik nach Tschernobyl sehr stark auf die Frage nach der Kernenergie reduziert hat. Der Bürger erwartet aber von einer Partei ein generelles politisches Konzept. Obwohl die Position der SPD in der Frage der Kernenergie mehrheitsfähig ist, wird das nicht honoriert, weil man bei der SPD einen gewissen Meinungsopportunismus sieht. Der Bürger beurteilt ja die Parteien nicht nach einem einzelnen Programmpunkt, sondern fällt ein Gesamturteil. In der SPD melden sich jetzt wieder jene zu Wort, die von Rau verlangen, die Verweigerung jedweder grün–roten Zusammenarbeit aufzugeben. Für die SPD wäre das eine völlig falsche Strategie. Eine solche Aufweichung käme allein den Grünen zugute. In Bayern verfügte die SPD ja teilweise über ein halbgares grünes Image und hat deshalb auch an Attraktivität eingebüßt. Raus Streben nach der „Mehrheit“ wird doch inzwischen von Flensburg bis München nur noch belacht. Eine offensichtlich unrealistische Strategie eignet sich doch nicht zur Mobilisierung? Sie wirkt doch nur noch lähmend. Wenn überhaupt noch eine Restchance besteht, die Bonner Koalition abzulösen, dann nur, wenn die SPD für viele neue Wähler wählbar wird. Zur Wählbarkeit gehört eine Portion Glaubwürdigkeit und Rau wirkt doch nicht glaubwürdig, wenn er laufend seine Strategien ändert. Glaubwürdig wirkt Rau dann, wenn er - wie in NRW - sein kann, wie er ist. Rau ist ja in NRW nicht nur als Person, sondern als Symbol für eine gewisse Politik gewählt worden. Die Übertragung dieses Effektes auf das Bundesgebiet scheitert ja offenbar an der mangelnden politischen und organisatorischen Infrastruktur der SPD. Die einzige Chance, einigermaßen passabel abzuschneiden, bestand und besteht darin, daß sie einen akzeptierten, passablen Spitzenkandidaten hat. Wenn aber kaum noch jemand Rau eine Mehrheit zutraut, ist dann nicht der Rau–Bonus hinfällig? Es mag sein, daß inzwischen fast ein solcher Punkt eingetreten ist, aber ich glaube nicht, daß große Teile der Wähler diese Strategie von Anfang an für unmöglich gehalten haben. Es gab eine bestimmte Gruppe von Funktionären in der SPD, die diese Strategie torpediert hat. Das ist doch das Problem der SPD, daß die einzig erfolgversprechende Strategie von den eigenen Leuten kaputt gemacht worden ist. Das Setzen auf Rau bleibt nach ihren Analysen weiterhin die einzige Chance? Ob das jetzt noch Erfolg haben kann, ist sicherlich zweifelhaft, aber es bleibt der einzige Hoffnungsschimmer für die SPD. Das Gespräch führte Jakob Sonnenschein