: DGB: „Ein wohlorganisiertes Komplott“
■ Gewerkschaftsanwälte zur Verhaftung des BGAG–Managers Lappas / Gezielte Ausnutzung des Feiertages / Geschäftsverteilungsplan des Bonner Amtsgerichts geändert / Richter setzte sich persönlich für Verhaftung ein / Haftbefehl mit „Fluchtgefahr“ begründet
Aus Hamburg Martin Kempe
Die Verhaftung des Vorstandsvorsitzenden der gewerkschaftlichen Unternehmensholding BGAG, Alfons Lappas, ist nach Meinung der gewerkschaftlichen Anwälte ein „sehr wohlorganisiertes Komplott“. Die Rechtsanwälte Gester (DGB) und Kittner (IG Metall) legten gestern am Rande des Hamburger Gewerkschaftstages der IG Metall in Hamburg Indizien dafür vor, daß es sich bei der Verhaftung um eine gezielte Provokation des Gewerkschaftstages gehandelt hat, um einen Eklat, wobei es auch zu offensichtlichen Unregelmäßigkeiten und Rechtsbeugungen gekommen sei. Inzwischen haben die gewerkschaftlichen Anwälte beim Landgericht Bonn Beschwerde eingelegt und beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe einen Antrag auf einstweilige Verfügung gegen die Inhaftierung Lappas eingelegt. DGB–Rechtsanwalt Gester stellte den Vorgang wie folgt dar: Am Sonntag habe der Richter am Bonner Amtsgericht, Hertz–Eichenrode (dem Vernehmen nach ein Sohn des bekannten, rechtskonservativen Publizisten Wilfried Hertz–Eichenrode von Springers Welt), auf Antrag des Untersuchungsausschusses Neue Heimat des Deutschen Bundestages die Beugehaft gegen Alfons Lappas beschlossen. Außergewöhnlich daran sei, daß die ser Beschluß entgegen allen üblichen Gepflogenheiten an einem Feiertag gefaßt worden sei. Außerdem gehe aus dem Geschäftsverteilungsplan des Bonner Amtsgerichts hervor, daß nicht Hertz– Eichenrode an diesem Wochenende zuständig gewesen sei. In seinem Beschluß hat der Richter ausdrücklich verfügt, daß einer Aussetzung des Vollzugs seiner Entscheidung durch ein auswärtiges Gericht „ausdrücklich widersprochen“ wird. Begründet wurde die Entscheidung mit „Gefahr im Verzuge“ und mit „Fluchtgefahr“. Nach Aussage des Lappas– Rechtsanwalts Rabe hat Hertz–Eichenrode allerdings noch am Samstagmorgen mit ihm telefoniert, um das weitere Vorgehen im Zusammenhang mit dem Antrag des Bonner Untersuchungsausschusses abzuklären. In diesem Gespräch habe Rabe dem Richter auch von der bevorstehenden USA–Reise Lappas berichtet, die dann den Grund für die im Urteil unterstellte „Fluchtgefahr“ geliefert hat. Rabe habe aber gleichzeitig und unmißverständlich dargelegt, daß Lappas schon am 29. wieder geschäftliche Termine in Frankfurt habe und damit seine Rückkehr gesichert sei. Im übrigen habe man für gestern weitere Kontakte vereinbart. Forts. S.2, Tagesthema S.3 Kommentar auf Seite 4 Nach dem Urteil habe nicht wie üblich die Staatsanwaltschaft, sondern der Richter Hertz–Eichenrode den Vollzug der Maßnahme betrieben - nach Ansicht der DGB–Rechtsanwälte ein eindeutiger Verstoß gegen das Gewaltenteilungsprinzip. Der Richter habe das Bundeskriminalamt eingeschaltet und angeordnet, die Beugehaft „unnachsichtig, unverzüglich und ohne Ansehen der Person“ zu vollstrecken, wohlwissend, daß Lappas zur gleichen Zeit auf dem Gewerkschaftskongreß der IGM weilte. Nachmittags um 15.55 Uhr habe Rechtsanwalt Rabe von dem Vollstreckungsbeschluß dadurch erfahren, daß zwei Kriminalbeamte das Haus Lappas aufgesucht hätten. Schon eine halbe Stunde später standen dann Hamburger Kriminalbeamte vor den Türen des Kongreßsaals im Hamburger Congress–Centrum, um Lappas aus dem Saal heraus festzunehmen. Nur der Besonnenheit der Beamten sei es zu verdanken gewesen, daß diese Maßnahme dann erst am Ende des Kongreßtages auf dem Hamburger Polizeipräsidium vollzogen worden sei. Am Montagmorgen gegen vier Uhr wurde Lappas in die Vollzugsanstalt Bonn eingeliefert. Dort wurde er vorerst wie ein Untersuchungshäftling behandelt, da eine Beugehaft von diesem Gericht noch nie verhängt worden war. Bis heute, so Gester, seien den Anwälten Lappas Einsicht in die Akten verwehrt worden. Auch sei Lappas entgegen rechtsstaatlichen Gepflogenheiten vor seiner Verhaftung das rechtiche Gehör verwehrt worden. Der Richter sei im übrigen am Montag in Urlaub gefahren und deshalb derzeit nicht mehr erreichbar. IGM–Anwalt Kittner zu all diesen Vorgängen: „Ich bin fassungslos“. Der SPD–Kanzlerkandidat Rau kritisierte in seinem Grußwort in in moderater Form die Entscheidung der „konservativen Mehrheit im Untersuchungsausschuß“ als unangemessen. Er sprach von „billiger Wahlkampftaktik“, mit der eine „beinharte Kampagne gegen dei Gewerkschaften fortgesetzt werde, die mit der 116–Kampagne begonnen habe.“ Die Bundestagsfraktion der Grünen kritisierte die spektakuläre Verhaftung von Lappas auf dem IG–Metall–Kongreß als „provokative Wahlkampfinszenierung“. Allerdings sei die Verhängung der Beugehaft in der Sache eine „harte, aber durch Lappas arrogantes und verbohrtes Verhalten vor dem Untersuchungsausschuß gerechtfertigte Konsequenz“, erklärten Ausschußmitglied Gerd Werner und Fraktionssprecher Willi Hoss.
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