: Wenn Nicaraguas Volkstribunale Recht sprechen
■ Der Fall Hasenfus hat auch die „Antisomozistischen Volkstribunale“ in die Schlagzeilen gebracht. Die Sondergerichte sind Ausdruck der Ausnahmesituation und widersprechen liberalen Grundsätzen einer unabhängigen Justiz
Aus Managua Ralf Leonhard
Durch den Prozeß gegen den US– Söldner Eugene Hasenfus kommt eine Einrichtung in die Schlagzeilen, die zu den umstrittensten der nicaraguanischen Revolution zählt: die Antisomozistischen Volkstribunale, kurz TPA genannt. Daß diese den im Westen zumindest formal eingehaltenen Regeln unabhängiger Justiz widersprechen, steht völlig außer Zweifel. Daß die Diskussion über die Sondergerichtsbarkeit in Nicaragua aber gerade jetzt hochgespielt wird, soll wohl vom eigentlichen Thema, nämlich dem Fall Hasenfus, ablenken und den Täter zum Opfer machen. In der Tat wird in Nicaragua das Prinzip der Gewaltenteilung verletzt. Die TPA sind ein Produkt des seit März 1982 geltenden und im Oktober 1985 verschärften nationalen Notstandes, der neben einer Anzahl von Bürgerrechten auch wichtige Prozeßrechte außer Kraft setzt. Eine Ausnahmesituation erfordert auch eine besondere Rechtsprechung, so begründet Justizminister Rodrigo Reyes die im April 1983 per Dekret geschaffenen TPA. In der Tat wären die ordentlichen Strafgerichte überlastet, wenn sie sich mit allen der Kollaboration mit den Contras Angeklagten befassen müßten. Und in einer Kriegssituation, wie sie in Nicaragua herrscht, erlaubt auch das Völkerrecht vereinfachte Verfahren. Die Bezeichnung „antisomozistisch“ ist irreführend, denn abgeurteilt werden vor den TPA nicht die ehemaligen Mitarbeiter Somozas, für die in den Jahren 1979–1981 eigene Sondergerichte bestanden. „Der Begriff Somozismo“, so der nicaraguanische Jurist Carmen Antonio Lopez, „erfaßt alle, die gegen die Konsolidierung des revolutionären Prozesses ankämpfen“. Also alle, die in Nicaragua oft recht vereinfachend als Konterrevolutionäre abqualifiziert werden. Rechtliche Grundlage für den Großteil der Anklagen ist das „Gesetz über die Aufrechterhaltung der Ordnung und der öffentlichen Sicherheit“ aus dem Jahr 1982, das sehr weit gefaßte Vergehen und Verbrechen gegen den Staat definiert. Das Strafausmaß reicht von drei bis zu der höchsten in Nicaragua zulässigen Strafe von 30 Jahren. Die Todesstrafe wurde in Nicaragua mit dem Sturz der Somoza– Diktatur abgeschafft. Die TPA unterstehen direkt der Präsidentenkanzlei, verletzen also das Prinzip der Gewaltenteilung. Während der Vorsitzende Jurist sein muß, werden die beiden Schöffen von den sandinistischen Massenorganisationen gestellt. Ihre Unbefangenheit ist daher mehr als fraglich. Zwar kommt das ordentliche Strafverfahrensrecht zur Anwendung, doch sind einige der Prozeßgarantien durch den Notstand suspendiert, darunter das Recht auf den zuständigen Richter und die Unschuldsvermutung. Es gibt also keinen Freispruch aus Mangel an Beweisen: Der Angeklagte muß vielmehr seine Schuldlosigkeit nachweisen. Dementsprechend hoch ist die Verurteilungsquote. 1985 hat es unter den Urteilen über 128 Angeklagte einen einzigen Freispruch gegeben. Etwa jeder zweite wurde zu Strafen zwischen drei und zehn Jahren verurteilt, drei erhielten die Höchststrafe. In den ersten fünf Monaten dieses Jahres wurden alle 160 in erster Instanz angeklagten Personen verurteilt. Die Berufungsinstanz bestätigte 92 von 104 Urteilssprüchen und sprach zwölf Verurteilte frei. Nicht jeder legt automatisch ein Rechtsmittel ein, da die Berufungsinstanz die Strafe auch hinaufsetzen kann. Revision an den Obersten Gerichtshof ist nicht möglich, da die TPA außerhalb der Judikative stehen.Die unabhängige US–amerikanische Menschenrechtsorganisation „Americas Watch“ setzt sich in ihrem jüngsten Nicaragua–Bericht vom März 1986 vehement für die Ab schaffung der TPA ein: Die Beteiligung der Massenorganisationen ermögliche politische Manipulationen des Prozesses, und da es keine richterliche Revision gebe, könne Nicaraguas unabhängige Gerichtsbarkeit keinerlei Kontrolle über Verletzungen der Prozeßregeln ausüben. Ein Anwalt, der bereits Dutzende Fälle vor dem TPA verteidigt hat, berichtete, wie er sich auf die neuen Tribunale einstellte: Die juristische Argumentation habe kein großes Gewicht. Wenn man aber nachweisen könne, daß der Angeklagte früher die Sandinisten unterstützt hat, dann sei das günstig für ihn. Auf diese Art gelinge es ihm meistens, milde Urteile zu erwirken. Roger Guevara Mena, Mitglied der konservativen Anwaltsvereinigung und Mitglied der von der Konrad–Adenauer– Stiftung finanzierten Christlichsozialen Partei (PSC), hat fünfzehn Fälle vor dem TPA verteidigt. In neun Fällen wurde ihm kein Einblick in das Beweismaterial der Anklage gewährt. In drei Fällen, so erzählt er, stützte sich die Anklage unter anderem auf Artikel in der sandinistischen Parteizeitung Barricada, wo der Beschuldigte als „Contra“ bezeichnet wurde.Wie in El Salvador und vielen anderen lateinamerikanischen Ländern gilt die vor dem Verfahren im Polizeigewahrsam gemachte Aussage als wichtigstes Beweismittel. Während aber z.B. in El Salvador auch physische Folter bei den Sicherheitskräften die Regel ist, wird der Gefangene von der nicaraguanischen Staatssicherheit im allgemeinen „nur“ psychisch unter Druck gesetzt. Die meisten der Angeklagten sind Campesinos mit sehr geringem Bildungsniveau, die die ihnen zur Unterschrift vorgelegten Geständnisse nicht lesen können. Das einzige, was den meisten nachgewiesen werden kann, so ein Anwalt, sei, daß sie die Contras mit Nahrungsmitteln versorgt hätten. „Ich gebe zu, es gibt da einen Widerspruch“, räumte Dr. Plutarco Anduray Palma, der ehemalige Leiter der regierungsnahen Menschenrechtskommission (CNPPDH) ein: „Während die wirklichen Contras, die sich freiwillig stellen und von der Amnestie Gebrauch machen, umgehend freigelassen und nach Hause geschickt werden, landen die Kollaborateure für Jahre hinter Gittern.“ Der Weg in die Freiheit führt häufig über Begnadigung. Das Staatsoberhaupt muß die Gesuche prüfen und an die Nationalversammlung übergeben, die allein berechtigt ist, Begnadigungen auszusprechen.In anderen lateinamerikanischen Ländern, namentlich El Salvador, landen politische Gefangene, gegen die keine Beweise vorliegen, im Gefängnis, ohne jemals einen Richter zu Gesicht bekommen zu haben. Frei kommt, wer genug Geld hat, den Untersuchungsrichter zu bestechen.
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