: Kürbisgeister an die Macht!
■ Halloween setzt die Herrschaft des Alltags außer Kraft / Vor Allerheiligen bevölkern Monster, Zwerge und Feuergötter die Straßenschluchten / Heidnisches Fest als Ventil für angestaute Fantasien von Schotten, Schwulen und Hexen
Aus New York Ute Büsing
Heiße Sambatänzer bezwingen mit „samba nova“ die kalte Herbstnacht. Die Schlaglöcher im Asphalt kochen von den verwinkelten Gassen im Greenwich Village bis zu den großen Avenues. Oberparadenmeister ist eine sie. Sie trug Strapse und sonst gar nichts unterm Pelzmantel, ihre Begleitung glänzte im rückenfreien Samtoverall, es folgten Gespenster aus dem Schattenreich der Sinne: monströse Zwerge und abgehalfterte Riesen (Reagan, Reagan, Reagan), Priester und Nonnen im Geschlechtertausch, Verwundete, Gefangene, Leichen, Freiheitsstatuen, Feen, Pfauen und Feuergötter. Für die „richtigen“ Frauen waren dieses Jahr „wicky the witch“ - Spitzhüte angesagt. Die „richtigen“ Männer gingen als Graf Dracula oder ganz einfach schwarz vermummt als gesichtslose Unwesen. Die Szene trug auch bei der 13. Halloween–Parade in New York ihre Lieblingsfarbe: schwarz. Zombies nach Tschernobyl Am Abend vor Allerheiligen (Halloween) freakt die Stadt, die ohnehin die Metropole der Verrücktheiten ist, völlig aus. 275.000 Menschen eroberten an diesem 31. Oktober die Nacht zu rück, orchestriert von 38 Kapellen. Untergangsgestimmt wie selten: Skelette, Zombies und weißgewandte Reinigungstrupps marschierten zeitgemäß für Tschernobyl. Nasa–Astronauten sind wieder auferstanden, Hunderte Reagans tanzen zur Melodie der Leiche am Syntheziser. Imelda Marcos Schuhe tanzen ein letztes Mal in schwülstigem Schaumstoff. Sympathie heischend aus Teddybär–Stoff fordert eine überlebensgroße Ratte das „endgültige Fallen–Verbot“. Über allem wacht das dritte Auge, aufgepfropft und glubscht. Hallo ween in New York konkurriert mit Karneval auf Kölsch in Rio. Nichts ist, wie es scheint. Der Schein bestimmt das Bewußtsein. Phantasie regiert Geschlecht und Rolle, der Kaiser trägt neue Klei der. Frau Königin ist Frosch. Die Erwachsenen haben bei den Kindern geklaut. Landesweit gehört Halloween den lieben Kleinen. Als böse Geister verkleidet ziehen die von Tür zu Tür und fordern Be lohnung vor Bestrafung. „Trick or treat“, und willste mir kein candy (Süßigkeit) geben, schlag ich dir den Schädel ein. Schottische und irische Einwanderer haben den heidnischen Brauch in die Staaten importiert. Ursprünglich war Halloween ein keltisches Fest, mit dem zu Beginn des neuen Jahres die Geister der Toten begrüßt und übernatürliche Kräfte besänftigt wurden. Halloween gehört heute zu Manhattan wie so manches der Gay Community. Gay Community flippt aus Im Greenwich Village geht das trickin und treatin erst richtig los, wenn die offizielle Parade längst vorbei ist. Schöne Schwule drag queens posieren für klickende Kameras. Die schwulen Anwohner werfen „treats“ vom Balkon: „tootsie rolls“ heißen die candies. Weißgepudert und mit Blondhaarperücke a la Loreley wiegen sich queenies im Paillettenhänger. Ganz böse Zwerge lassen hier im Herzen des Schattenreichs ihre Schwänze offen „raushängen“: Fett, erigiert und aus Schaumstoff. In gespenstisch ausgehöhlten Kürbissen flackert ein einsames Kerzenlicht. „Wir sind mehr Leute hier im Block, als ihr in eurem ganzen Staat habt“, spottet die symbolisch einen Zaunpfahl bumsende Nonne, als ein Autofahrer aus New Jersey in der Mitternachtsparade steckenbleibt. Halloween verstaut die Straßen, da lachen die Poltergeister.
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