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Giftwelle schäumt im Rhein

■ Nach dem Großbrand bei Sandoz in Basel schwappt eine 40 km lange Giftwelle durch den Rhein / Wasserentnahme zur Trinkwasserversorgung eingestellt

Basel/Berlin (taz) - Hatte am vergangenen Samstag ein Firmensprecher die bei einem Großbrand in der Lagerhalle des Basler Agrochemiekonzerns Sandoz AG freigesetzten chemischen Stoffe noch als „völlig harmlos“ bezeichnet, so mehren sich inzwischen die Anzeichen für eine Umweltkatastrophe. Allein im Regierungsbezirk Freiburg sind nach Schätzungen des badenwürtembergischen Landwirtschaftsministeriums in den letzten Tagen 150.000 Aale am Grund des Rheins verendet. Der rheinland– pfälzische Umweltminister Töpfer rechnet mit größeren Beeinträchtigungen des Öko–Systems. Die Giftwelle, die gestern nachmittag Mannheim erreichte, bewegt sich mit schätzungsweise 5 Stundenkilometern vorwärts und hatte gestern bereits eine Länge von 40 km erreicht. Die Trinkwasserentnahme der Wasserwerke aus Rheinuferbrunnen soll nach Informationen aus dem Umweltausschuß des Bundestags inzwischen am gesamten Flußverlauf gestoppt sein. Der Leiter der Abteilung Wassergewinnung bei den Stadtwerken Wiesbaden teilte auf Anfrage der taz dazu mit, daß diese Maßnahme, „wenn das nicht länger als zehn bis vierzehn Tage dauert“, die Wasserversorgung der Bevölkerung nicht gefährde. Auch in Basel schlägt man jetzt neue Töne an: „Ich möchte mich in aller Form bei der Bevölkerung entschuldigen“, so der Verwaltungsratspräsident der Firma Sandoz, Marc Moret, am Dienstag. Die Firmenleitung bestätigte offiziell, was Kritiker wie etwa der gelernte Chemiker und Freiburger Grünen–MdL Hans–Dieter Stürmer bereits kurz nach der Chemiekatastrophe befürchtet hatten: Mit dem Löschwasser wurden große Mengen hochgiftiger Verbindungen vom Brandort in den vorbeifließenden Rhein gespült. Der Fluß, so die trockene Bilanz der Fachleute gestern in Basel, sei „bei Basel für längere Zeit praktisch tot“. Zudem waren in der abgebrannten Lagerhalle nicht wie angegeben 800, sondern über 1.200 Tonnen Agro–Chemikalien, insgesamt 29 verschiedene Produkte, gelagert. Bei den im Rheinwasser festgestellten Schadstoffen handelt es sich unter anderem um Insektizide vom Typ der Phosphorsäure– Ester, die bei Lebewesen ab einer bestimmten Konzentration als Nervengift wirken können, sowie um eine Quecksilberverbindung. Das Insektizid „Disulfoton“ wurde beispielsweise bereits am Samstagmorgen, wie Sandoz jetzt öffentlich bekanntgab, an der Einflußstelle des Löschwassers in einer Spitzenkonzentration von 370 Milligramm pro Liter nachgewiesen. Das entspricht der hundertfachen für Fische tödlichen Menge. Fortsetzung auf Seite 2 Reportage Seite 5 Rund 7.500 Tonnen Löschwasser, so schätzt die Feuerwehr, seien während des Großeinsatzes vom für derartige Fälle nicht präparierten (!) Brandplatz in den nahen Rhein abgeflossen. Die Quecksilberverbindungen stammen von einer Agrochemikalie der Giftklasse 3, mit der früher Saatgut gegen Pilzbefall behandelt wurde, die aber mittlerweile in den meisten Ländern verboten wurde. „Eher zufällig“ hätten sich nach Sandoz–Angaben 11 Tonnen dieser Saatgutbeize in der abgebrannten Lagerhalle befunden. Noch am Wochenende hatte Sandoz die Öffentlichkeit mit der Erklärung beschwichtigt, die röt lich–öligen Lachen auf dem Rhein stammten von ungefährlichen Markierungsstoffen. Das kantonale Gewässerschutzamt Basel berechnete, daß etwa ein bis drei Prozent - also zwischen 12 und 36 Tonnen - der gelagerten Chemikalien der Giftklassen 2 und 3 in den Rhein geschwemmt wurden. Skandal Normalzustand Bei ihren Wasseranalysen stießen die beamteten Kontrollettis vom Kantonslaboratorium zu ihrer eigenen Überraschung auf eine Agrochemikalie, die mit dem Sandoz–Unglück gar nichts zu tun hat: das Unkrautvernichtungsgift „Atrazin“ - Giftklasse 5. Von dem Gift wurde immerhin pro Liter halb so viel gemessen wie von den von Sandoz stammenden Phosphorsäure–Estern. Die Basler Kantonschemiker waren ratlos; man habe Atrazin im Rhein noch nie gemessen. Des Rätsels Lösung hatte der Informationsdienst der Ciba–Geigy AG parat: Der Sandoz–Konkurrent und Nachbar produziert das Gift in einem Nebenwerk, das direkt neben dem Unglücks–Werk südlich von Basel liegt. Daß die dortige Kläranlage mit den Herbizid–Rückständen aus der Atrazin–Produktion nicht fertig werde, sei seit langem allgemein bekannt, teilte ein Firmensprecher lässig mit. Während die baden–württembergischen Behörden abwiegelnd von einer „minimalen Belastung des Rheinwassers“ sprechen, ist es zwischen den französischen und den schweizerischen Behörden zu erheblichen Verstimmungen gekommen, da die Basler Stel len nach Auffassung der elsässischen Behörden diese zu spät informiert haben. Die SPD hat von der Bonner Bundesregierung einen Bericht über die Folgen des Sandoz–Brandes gefordert. Die Baseler Kantonalregierung bereitet jetzt die Ausgabe von Gasmasken an die gesamte Bevölkerung vor. Viele Menschen hatten sich am Samstag schon selbst versorgt und sich die Schutzmaske aus ihrem Notgepäck für ABC– Alarm aufgesetzt. Damit hatten sie sich allerdings strafbar gemacht, weil die ABC–Masken nur bei entsprechendem Alarm angelegt werden dürfen. Nach einer entsprechenden Prüfung haben die Behörden diese Selbsthilfe– Maßnahme nachträglich genehmigt und zur Auswechslung der verschmutzten Filter aufgerufen. Kinder hätten dabei unter den herkömmlichen Gasmasken ersticken können, weil sie nicht für das kindliche Atemvolumen ausgelegt sind. Man erwägt deshalb jetzt Sonderanfertigungen für Kinder. Thomas Scheuer / I. H.

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