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Es ist Krieg auf dem Mikrocomputermarkt

■ Computer–Marktführerin „Mother Blue“ gerät unter Druck / PC–Nachbauten vermasseln das Geschäft / Südostasiatische Billiganbieter bringen keine Neuentwicklungen / Angriffsstrategie der IBM: Marktbereinigung durch neuen Computerstandard

Von Raul Rojas

Das hat es seit fünfzig Jahren nicht mehr gegeben: IBM, International Business Machines, erwartet im laufenden Jahr niedrigere Profite als in den beiden Vorjahren. Nur während der großen Depression in den dreißiger Jahren gab es so etwas zuvor. Damals fiel der Gewinn zwei Jahre hintereinander, freilich in einer Situation, als IBM noch keine Computer produzierte. In diesem Jahr ist der Kurs der Aktien des Computer–Riesen von einem Höchststand bei 162 Dollar auf mittlerweile 120 Dollar gefallen. Das Management reagierte mit einer ganzen Palette von Sparmaßnahmen und breit angelegten Umsetzungen von Mitarbeitern. Eisern festgehalten wird jedoch an einem Grundpfeiler der Konzernphilosophie: Aus wirtschaftlichen Gründen soll bei IBM niemand entlassen werden. Da muß das freiwillige Ausscheiden versüßt werden. Besonders die vorzeitigen Pensionierungen sind deutlich angestiegen. Der aktienschwerste Multi der Welt hat offensichtlich ernste Probleme. Es sind diesmal allerdings keine anderen großen amerikanischen Computerfirmen, die den IBM–Managern Kopfschmerzen bereiten. Nicht Burrouhgs oder Digital Equipment haben den Goliath herausgefordert, sondern es sind die Pygmäen des Computergeschäfts. Das Terrain der Auseinandersetzung ist der Weltmarkt für Personal Computer (PC). Gegenstand des offenen Konflikts sind die sogenannten IBM–Kompatiblen im Bereich der Mikrocomputer, die die Konkurrenz aus Taiwan, Hong Kong und Südkorea massenweise anbietet. Die Waffe gegen „Mother Blue“, wie IBM nach der bevorzugten Firmenfarbe genannt wird, ist der Niedrigpreis, die Verkaufsschlacht tobt weltweit. Schon in diesem Jahr verlor das Original die Vorherrschaft auf dem amerikanischen Computermarkt: Nur noch 34 Prozent der nach dem IBM–System arbeitenden PCs trugen das eigene Firmenzeichen, der dicke Brocken von 66 Prozent schlug sich auf den Kon ten von mehr als 200 verschiedenen Anbietern von IBM–PC– Nachbauten nieder. Diese Geräte, die auch PC–Klonen genannt werden, stammen hauptsächlich aus Südostasien und werden für weniger als die Hälfte eines authentischen IBM–Produkts verkauft. In den letzten zwölf Monaten ist unter diesem Druck der Durchschnittspreis aller IBM–kompatiblen PCs um fast 40 Prozent gefallen. Dabei ist der Mikrocomputer–Markt alles andere als ein unwichtiger Sektor. Der weltweite Umsatz aller Sorten von Mikrocomputern wird für 1986 auf 35 Mrd. Dollar geschätzt. Mehr als sieben Mio. Geräte werden in diesem Jahr in den USA verkauft werden. Die Bandbreite des Einsatzes reicht vom Privatgelehrten, der sich den Spaß eines EDV–Einstiegs einige tausend Mark, Dollar oder Yen kosten läßt, bis zur zunehmenden Nutzung im Bürobereich. Personal Computer sind für keinen Hersteller eine zu vernachlässigende Größe. Auf dem Markt der Mikrocomputer tauchte IBM, bis dahin Marktführerin bei Großrechnern und fest im Sattel bei den Minicomputern der mittleren Leistungsklasse, erst 1981 mit einem eigenen Modell auf. Der IBM–PC hatte seit dem Tag seiner Ankündigung Furore gemacht und eroberte schnell Marktanteile. Paradoxerweise hat der große Erfolg ihres PC entscheidenden Anteil am heutigen Mißstand bei „Mother Blue“. Während IBM sich bei Großcomputern immer bemüht hatte, zu allen anderen Anbietern inkompatibel zu sein, sowohl um die Kunden auf die eigenen Produkte festzulegen als auch um den Nachbau ihrer Computer so schwer wie möglich zu machen, wählte sie für den IBM–PC eine offene Architektur. Für das Gerät wurden nur einfache und allgemein zugängliche Komponenten benutzt. Obwohl schon neue, „mächtigere“, d.h. leistungsstärkere Mikroprozessoren die Runde machten, wählte IBM als Steuerungselement den Intel 8088 Prozessor, ein zwar billiges, aber auch schon veraltetes Modell. Ein Kernstück des Ganzen, das Betriebssystem, kam auch nicht aus dem eigenen Haus, sondern von der Firma Microsoft, die auch andere Computerhersteller damit versorgt. Und die verwendeten Chips schließlich konnte jeder im Laden um die Ecke kaufen. Alles in allem keine komplizierte Konstruktion und ausge stattet mit den von IBM dem PC beigegebenen Handbüchern war der Nachbau kein Kunststück; jeder Elektronik–Student konnte das in ein paar Stunden meistern. Was sich in der Welt der Großrechner bewährt hatte, wurde für IBM bei den PCs zum Pferdefuß: Keine technischen Sprünge zu vollziehen, im IBM–Jargon: „Evolution statt Revolution“, ist seit mehr als 20 Jahren die Devise. Wo aber die Herstellung so wenig technische Schwierigkeiten bereitet, ist dem Nachbau Tür und Tor geöffnet. Die Lieferschwierigkeiten von IBM in den ersten eineinhalb Jahren taten ein Übriges und eröffneten einen Markt für die Hersteller von IBM–kompatiblen PCs. Bei den südostasiatischen Nachbauten wurden die billigeren Produktionskosten zum entscheidenden Vorteil. Mit den dortigen Herstellungspreisen kann die gesamte Konkurrenz unterboten werden. Selbst voll robotisierte IBM–Fabriken in den USA können nicht mithalten. In diesem Jahr hat IBM schon dreimal die Listenpreise ihrer PC–Familie gesenkt - und das hieß Verlust. Inzwischen hat sich „Mother Blue“ anscheinend entschieden, mit härteren Bandagen zu kämpfen. Zwar wurde erst einmal als Entlastungsangriff ein neues PC– Modell - der XT/286 - vorgestellt, das zwei– bis dreimal schneller arbeitet. Aber in der Branche ist inzwischen bekannt, daß IBM, Intel und Microsoft gemeinsam an der Entwicklung eines Computers arbeiten, der im Mikro–Bereich einen neuen Standard setzen soll. „Advanced Technology“, was übersetzt ganz harmlos „fortgeschrittene Technologie“ heißt, ist das Schlüsselwort für die neue Klasse. Dahinter steckt nicht nur eine sechs– bis siebenmal schnellere Rechnergeschwindigkeit, sondern auch die Möglichkeit, an einen PC mehrere Bildschirmarbeitsplätze anzuschließen. Da diese neue Klasse von Mikrocomputern aber auch so angelegt sein wird, daß damit die vorhandene Software–Basis für IBM–PCs voll ausgenutzt ist, kann die Neuentwicklung durch die vorhandene Marktmacht wirkungsvoll Flankenschutz bekommen. Für die PC–Klonen–Hersteller wäre der ökonomische Zusammenbruch absehbar. Auch für IBM wird als Diktator auf dem Computermarkt die Zeit knapp. Zum ersten Mal hat es nämlich ein zwar renommiertes, aber doch eher nachgeordnetes Unternehmen gewagt, IBM bei der Entwicklungsarbeit zu überholen. Die Firma Compaq hat mit ihrem PC „Desk Pro 386“ bereits ein erstes Modell der von IBM & Co projektierten Klasse vorgestellt. Das Geschäft läuft offensichtlich. Doch die Weichen für den zukünftigen Mikrocomputermarkt werden nicht in Südostasien, sondern in den USA gestellt. Wir dürfen gespannt sein auf die nächsten Pläne - wahrscheinlich eines Angriffs - des IBM–Oberkommandos in Armonk, New York.

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