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„Jeder Tag Geschichte“

■ Ein Film, der versucht, Momentaufnahmen der Lebensrealität von Frauen in Nicaragua festzuhalten / Keine revolutionären Heldentaten, sondern Alltag wie er in der Geschichtsschreibung nicht vorkommt

Die beiden Schweizer Filmemacherinnen Gabrielle Baur und Kristina Konrad haben sich langsam dem Alltag von Frauen genähert und viele Anläufe gemacht, ihn mit der Kamera einzufangen. Sie, kinderlos, stießen immer wieder auf Frauen, deren Mutterrolle eine ganz zentrale Bedeutung in ihrem Leben hat. Für die Filmemacherinnen gab es viele kulturelle Distanzen zu überwinden, um Verständigungswege zu finden und möglichst viele unterschiedliche Lebensrealitäten kennenzulernen. Bei den Filmarbeiten hatten sie sehr unterschiedliche Beziehungen zu den Frauen aufgebaut. Bei prominenten Frauen wie z.B. der Kommandantin Monica Baltodano, der Dichterin Gioconda Belli oder der Mutter des Präsidenten Daniel Ortega, mußten sie extra Termine für ein Interview beantragen und dementsprechend hatten die Gespräche auch einen offiziellen Charakter. Von dem Alltagsleben dieser Frauen bekamen sie so gut wie nichts mit. Anders bei Frauen, die sie bei politischen Versammlungen oder durch private Kontakte kennengelernt hatten, die ihnen nicht als offizielle Vertreterinnen von ... gegenübergetreten waren. Diese Frauen konnten sie in ihrem alltäglichen Leben begleiten, wodurch ein Vertrauen entstand, das offenere Gespräche ermöglichte. Ihre Erfahrungen, Vorstellun gen und Hoffnungen, die in den Gesprächen zum Ausdruck kommen, vermitteln ein lebendiges Bild der widersprüchlichen Realität eines gesellschaftlichen Umbruchprozesses. Es sind Frauen, die nicht zu den privilegierten Kreisen der Somozagesellschaft gehörten und für die die Revolution eine Hoffnung auf ein besseres Leben bedeutet (hat). Der Stellenwert der Mutterrolle wird langsam, vor allem von der jüngeren Generation, in Frage gestellt. Berufliche Ausbildung und politisches Engagement gewinnen an Wichtigkeit. Für Dona Clementina zählt, daß die Revolution den Frauen zu einer besseren Stellung in der Gesellschaft verhilft. Ihre Tochter hat jetzt ein Stipendium für ein Auslandsstudium erhalten. Während Dona Petrona sehr traditionelle Vorstellungen über die Rolle der Frau als Mutter vertritt, versucht ihre Schwiegertochter sich aus dieser traditionellen Lebenswelt der Frauen im Dorf zu lösen und sich, trotz ihrer fünf Kinder, politisch aktiv einzusetzen und beispielsweise mit den Gesundheitsbrigaden in die Berge zu fahren. Für die Tochter von Dona Lesa dagegen hat sich bis jetzt durch die Revolution wenig verändert. Sie wurde von den Vätern ihrer drei Kinder sitzengelassesn, von denen nur einer ihr Alimente zahlt. Sie ist nicht berufstätig und lebt mit ihrer Muter zusammen von deren Einkommen. Die Frauen aus einem Frauenbattaillon in den Bergen haben Männer und Kinder daheimgelassen. Sie fühlen sich den Männern gleichwertiger, wenn sie unter denselben Bedingungen kämpfen müssen. Mit ihnen zusammen sind dort auch junge Wehrdienstleistende stationiert, die sehr traditionelle Vorstellungen über Mütter vertreten. Für sie ist die Mutter „la roca“ (der Felsen) immer da und offen für die Probleme der Kinder. Der Film läßt vor allem die Frauen selbst zu Wort kommen und wirft dadurch viele Fragen auf, ohne sie zu beantworten, versucht nicht zu werten, sondern läßt Raum für eigene Assoziationen und Gedanken. Ein gelungener Versuch, Frauen als Subjekte ihrer Geschichte darzustellen. Die beiden Sschweizer Filmemacherinnen machen ab Mitte November eine Rundreise durch verschiedene Städte der BRD, um ihren Film vorzustellen. Dazu haben sie auch zwei Frauen aus Nicaragua eingeladen. Die eine ist eine der Protagonistinnen des Films, Dona Petrona, und die andere ist eine Vertreterin der Frauenorganisation AMNLAE. Anne–Kathrin Link Termine: 13.11. Berlin, 19,30 Uhr Nostizgemeinde, Nostizstr. 6 weitere Termine: 14.–16.11. Hamburg, 17.11. Göttingen, 18.11. Paderborn, 19.11. Bonn, 20.11. Nürnberg, 21.11. Tübingen, 22.11. Freiburg

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