: Island nach den Greenpeace–Attentaten
■ In Island wurde der Greenpeace–Anschlag auf die Walfangboote und die Zerstörung von Computeranlagen als Angriff auf die gesamte Nation empfunden / Nur ein einziges Mitglied von Greenpeace hatte sich von der Aktion distanziert
Von G.M. Hanneck–Kloes
Reykjavik (taz) - Als in der vergangenen Woche die Nachricht durchs Radio kam, daß zwei der vier isländischen Walfangboote im Hafen von Reykjavik gesunken seien, setzte sich trotz des heftigen Sturmes und der Kälte ein ununterbrochener Strom von Schaulustigen in Bewegung, die Kapuzenjacken mit Kameras und Kindern an der Hand den Tag zu einem spontanen Ausflug nutzten. Das war nicht das verschlafene, sonntägliche Reykjavik, das war fast schon die Drosselgasse in Rüdesheim. Allerdings sah man kaum ein frohes Gesicht, ernste Mienen, manchmal Kopfschütteln. Mit den Walfangbooten war auch das optimistische Selbstlob gesunken, das man sich nach dem Gipfel in Reykjavik gegeben hatte, „die innere Sicherheit in Island ist gewährleistet. Beweis: der reibungslose Ablauf des kürzlichen Mini–Gipfels.“ Das laienhafte Vorgehen der Polizei allerdings verstärkt die alte Vermutung, daß die isländische innere Sicherheit ein unschuldiger Naturzustand ist, von niemandem geschaffen, kontrolliert oder garantiert. Wie schönes oder eben schlechtes Wetter. Zunächst wurde ein Leck als Ursache des Sinkens angenommen. Erst viel später stellte man fest, daß die Lenzventile geöffnet worden waren. Doch auch dann dauerte es noch seine Zeit, bis die Kontrolleure in Keflavik, dem einzigen interna tionalen Flughafen des Landes, verständigt wurden. Die mutmaßlichen Täter waren da schon außer Landes. Nicht genug der Unschuld: Niemand kam auf den Gedanken, daß noch weiterer Schaden angerichtet worden sein könnte. So standen montagmorgens erschrockene Arbeiter vor den zerstörten Computeranlagen und Einrichtungen der Walfangstation, die ca. 70 km von Reykjavik entfernt ist. Anschläge dieser Art sind neu für das Land. Doch isländische Unschuld ist nicht nur lustig. Wenn in der Öffentlichkeit zum Schulterschuß gegen die „Terroristen von sea shepherd“, die „brutalen Naturschützer“ aufgerufen wird, wenn aus der anfänglichen Verwirrung darüber, „daß es tatsächlich geschehen konnte“, „gerechter Zorn“ wird, der nach „Ordnung und Strafe“ ruft, dann entwickelt sich damit eine Heftigkeit, die in Island - anders als in Deutschland - keine Geschichte hat. „Merkwürdige Kreaturen“ wurden die isländischen Mitglieder von „sea shepherd“ genannt. Kein Wunder, daß sie nicht an die Öffentlichkeit gehen. Die Stimmung in Island ist dumpfnationalistisch. Die Attacke auf die isländischen Walfängerboote wird zum Angriff auf die gesamte Nation. Eigentlich ist ja nur ein Privatunternehmen betroffen, das mit Walfang sein Geld verdient, doch durch die hartnäckige Haltung der isländischen Regierung, die sich über Fangverbote konsequent hinwegsetzt und jetzt Wale auf „wissenschaftlicher“ Basis fängt, ist eine enge Verknüpfung von Privatfirma und Staat entstanden. Die Firma „hval hf“ (wal AG) ist der praktische Arm isländischer Walfangpolitik. Das erklärt die nationale Empörung. Greenpeace Island hat ein einziges Mitglied, das sich von dem Anschlag distanziert hat. Gegenstimmen in der isländischen Öffentlichkeit gibt es nicht. Sie haben freies Feld, und das ganze Meer mit allen Fischen und Walen innerhalb von 200 Seemeilen dazu. „Da redet uns keiner rein“, schon gar nicht eine ausländische Gruppe, die Gewalt gegen Sachen anwendet. Muß ich erst Isländerin werden, damit mir jemand zuhört, wenn ich rufe „Schluß mit dem Walfang?“ Ach nein, ich einfältige „merkwürdige Kreatur“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen