: Tschernobyl im Odenwald?
■ Ökoinstitut legt sicherheitstechnische Studie zu AKW Obrigheim vor / Spekulationen um wahltaktische Stillegung durch CDU
Aus Stuttgart Dietrich Willier
Gegen einen sog. 2–F–Bruch, der den vollständigen Abriß einer Hauptkühlmittelleitung bedeutet, sei die Anlage nicht ausgelegt, Notkühlaggregate, die einen solchen Bruch beherrschen könnten sind nicht vorhanden. Als Schrottreaktor hatten in den vergangenen Monaten SPD und Grüne den 350 Megawatt–Atommeiler in Obrigheim im Odenwald bezeichnet. Der älteste Atomreaktor in der BRD hat mittlerweile 18 Betriebsjahre mit einer durchschnittlichen Auslastung von fast 80 sich. Selbst nach den Kriterien der Betreiber müsse der Reaktor sofort abgeschaltet werden, forderten gestern die baden–württembergischen Grünen. Selbst die CDU will, Spekulationen zufolge, den Reaktor aus wahltaktischen Erwägungen noch vor der kommenden Bundestagswahl vom Netz nehmen. Die SPD dagegen möchte damit noch zwei bis drei Jahre warten. Gestern vormittag legte die Reaktorsicherheitsgruppe des Darmstädter Öko–Instituts eine, im Auftrag der Grünen erarbeitete „Untersuchung zur Sicherheitstechnischen Auslegung des AKW Obrigheim“ vor. Der Odenwälder Atommeiler, so stellen die Wissenschaftler in ihrer über 100seitigen Studie fest, sei trotz der in den vergangenen Jahren für mehr als eine Viertel Milliarde Mark vorgenommenen sicherheitstechnischen Maßnahmen längst nicht auf dem in anderen AKWs üblichen Standard. Insbesondere wurden Sicherheitsdefizite an der Hauptkühlmittelleitung kritisiert. Fortsetzung Seite 2 Auch der Berstschutz, eine Stahl– und Betonummantelung des Reaktors als Sicherheitsmaßnahme gegen abstürzende Flugzeuge sei z.B. bei heutigen AKWs wenigstens dreimal so dick wie in Obrigheim. Ein besonderer Schwachpunkt der Obrigheimer Anlage ist nach Ansicht des Öko–Instituts der Reaktordruckbehälter. Dieser Teil der Anlage weist nach den Untersuchungen der Wissenschaftler zahllose Haarrisse und Versprödung der Schweißnähte auf. Auch die Auslegung gegen Erdbeben, auf die gerade in der besonders gefährdeten Gegend zwischen Rheingraben und schwäbischer Alb Wert gelegt werden müsse, sei völlig unzureichend. Mit dem Obrigheimer Atomreaktor, der bis heute auch als Versuchsstation für Plutoniumbrennelemente dient, sei die Atomlobby bewußt ein überdimensionales Risiko eingegangen, kritisieren die Grünen. Das AKW Obrigheim, so das Öko– Instituts, sei in seinem jetzigen Zustand in der Bundesrepublik nicht mehr „genehmigungsfähig“. Auch müsse geprüft werden, ob der Weiterbetrieb nicht einen Verstoß gegen das Atomgesetz darstelle.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen