: Wahlkampf in Österreich
Sie zappeln und strampeln, sie rudern und flöten: die österreichischen Parteien kämpfen um die Gunst der fast apathisch uninteressierten Wähler. Am Sonntag geht der perspektivloseste Wahlkampf der Zweiten Republik zu Ende. Dann kann der Postenschacher beginnen.Jede der vier wahlwerbenden Gruppen trägt ihr Bündel an Negativa allzu sichtbar mit sich herum. Und bei allen Mühen, diese zu überdecken, sind Unterscheidungen oder Pläne für die Zukunft unter den Tisch gefallen. Die derzeit größte Partei, die SPÖ, ist nach 16 Jahren an der Regierung ausgelaugt. Sie tritt im Wahlkampf völlig hinter ihrem Spitzenkandidaten Franz Vranitzky zurück, der mit cooler Banker–Pragmatik versucht, Vertrauen für sein Krisenmanagement zu gewinnen. Gestrichen wurde praktisch das Wort Sozialismus aus den Programmen, kein Wort fällt auch über die Leistungen der Sozialdemokraten in den letzten Jahren (Modernisierung des Landes, gutes Hinwegsteuern über Wirtschaftskrise, relativ hohe Beschäftigung). Vranitzky, der sich klar auf eine große Koalition mit der Konservativen Österreichischen Volkspartei (ÖVP) festgelegt hat - mit einer absoluten Mehrheit rechnet die SPÖ schon lange nicht mehr -, zeigt sich bloß als besserer Manager der Firma Österreich. Zur brutalen Sanierung der verstaatlichten Industrie, zum Sparen beim Budget, zur „Anpassung des Sozialsystems“, so der amtierende Kanzler, gebe es ohnehin keine Alternativen. Bestätigung für den Macher Damit hat der bürgerlich–rote Kanzler der ÖVP viel Wind aus den Segeln genommen. Seit einigen Monaten praktiziert er, was diese stets forderten. Etwas hilflos klammern sich die Konservativen nun an ihre „Wende zum Besseren“, wenig inspiriert von dem farblosen Oppositionsführer Alois Mock. Die ÖVP–Propaganda zielt denn auch hauptsächlich auf die Fehler der Sozialisten, denn auf eigene zündende Ideen ab (Steuerreform und Sanierung der Staatsbetriebe unterscheiden sich von den Absichten der SPÖ nur graduell, in den sozialen Auswirkungen). 600 Milliarden Schulden in 16 Jahren Regierung, höhere Arbeitslosigkeit (z.Zt. rund fünf Prozent), sind die gravierendsten Vorwürfe. Ein wenig setzte die Volkspartei dann auch auf die „Waldheim– Karte“. Mit einem kritischen Artikel in der israelischen Massenzeitung Yedioth Acharonot ging man hausieren, sorgte dafür, daß der staatliche Rundfunk auch brav berichtete, nur um die Alpenländler gegen die „bösartige Einmischung“ von seiten der Juden zu mobilisieren. Grundsätzlich hat sich jedoch auch die ÖVP bereits auf die „Elefantenhochzeit“ mit den Sozialisten festgelegt. Im Prinzip geht es darum, welche der beiden Großparteien den Ton angibt, Kanzler und Finanzminister stellen wird. Ein Hintertürl hat sich die ÖVP allerdings offen gehalten: Sie schließt auch eine Koalition mit der rechtsliberalen Freiheitlichen Partei (FPÖ) nicht aus. Die Sozialisten haben sich hier schon klar festgelegt: Eine Koalition mit Jörg Haider komme nicht in Frage. Nationalistischer Hoffnungsträger Dessen Wahl zum FPÖ–Obmann - in dumpf–nationalistischer Stimmung - war der Anstoß zum Ende der rot–blauen Koalition und der Anlaß für diese vorgezogenen Herbstwahlen. Vranitzky hatte sozialistische Moral und seine Vorliebe für eine große Koalition unter einen Hut gebracht und sich sofort entschieden. Haider, dessen Rechtslastigkeit eher kalkuliert denn genuin sein dürfte, hetzt nun durch die Bundesländer und versucht, Enttäuschte aller Lager einzusammeln. Seine Veranstaltungen haben bei weitem den größten Zulauf, und obwohl er genausowenig Konkretes anzubieten hat wie die anderen beiden Parteien, sagen ihm die Meinungsumfragen Gewinne voraus. Die „gute Goschn“ und die oft richtige Analyse der Mißstände im Land unterscheiden ihn von der Fadheit der Hochzeitspartner. An Chancen verloren haben in den letzten Wochen die Grün–Alternativen. Nachdem sie zunächst gute Aussichten hatten, als drittstärkste Fraktion ins Parlament in Wien einzuziehen, verwickelten sie sich in mörderische Fraktionskämpfe und schafften schließlich die erhoffte Einigung nicht. Bei der Masse der Wähler entstand der Eindruck, es gehe nur um Posten, und sie seien um nichts besser als die Etablierten. Die Umfragen sagen ein Kopf–an–Kopf–Rennen der beiden Großparteien voraus. Und wenn der Sieg nur aus dem Zielfoto erkannt werden kann, dürfte die große Koalition so gut wie sicher sein. Sollte die SPÖ stark verlieren, ist ein Gang in die Opposition nicht ausgeschlossen, zur inneren Erneuerung, und um die persönlichen Chancen einiger Funktionäre aus dem zweiten Glied zu wahren. Dann wird die ÖVP mit Haider eine kleine Koalition bilden. Beinahe unmöglich, schon aufgrund der Wahlarithmetik, ist die Minderheitsregierung einer Großpartei mit Duldung der Grünen, obwohl diese ihre Hand bereits offeriert haben. Reinhard Engel
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