: Ein Dorn im Hintern der SPD
■ Grüne in Bonn legen 36seitiges Sofortprogramm für Ausstieg aus der Atomenergie vor / Planvoller Ausstieg im nächsten Jahr sei machbar / Kritik an Unglaubwürdigkeit der SPD
Aus Bonn Tina Stadlmayr
„Diese Broschüre wird ein Dorn sein unter dem Hintern des Kanzlerkandidaten Rau“, freut sich der grüne Ausstiegs–Experte Matthias Küntze bei der Vorstellung seines Werkes. Das 36seitige Sofort–Programm für den Ausstieg aus der Atomenergie wird von den Grünen im Bundestag in einer Auflage von 100.000 an kirchliche Gruppen, Gewerkschaften, Friedensinitiativen und die zahlreichen neugegründeten Energiewendegruppen verschickt. Auch aufgeschlossenen SPD– und CDU–Politikern soll es als Argumentationshilfe dienen. Mit der SPD gehen die Grünen in ihrer Broschüre jedoch hart ins Gericht: „Wie kann die SPD für weitere zehn Jahre das Risiko eines Super–GAUs in diesem dichtbesiedelten Land verantworten? Ist es verantwortbar, daß die Atomkraftwerke weitere zehn Jahre lang auf der Grundlage einer Schein–“Entsorgung“ Atommüll produzieren dürfen? Wie glaubwürdig ist der sozialdemokratische Widerstand gegen die Plutoniumwirtschaft, wenn gleichzeitig die WAA–Forschung und die deutsch–französische Kooperation auf dem Gebiet der Schnellen Brüter unterstützt wird? Was ist von der Ablehnung der WAA durch die SPD zu halten, wenn einige SPD–Mitglieder im Aufsichtsrat der Technischen Werke Stuttgart mit ihren Stimmen die Mindestfinanzierung der WAA in Höhe von 155 Mio. Mark ermöglichen?“ Die Grünen wollen mit ihrer Broschüre zeigen, wie der sofortige Ausstieg machbar ist - und zwar ohne daß das Waldsterben beschleunigt oder die Stromversorgung beeinträchtigt wird. „Sofortiger Ausstieg“, heißt übrigens, wie der grüne Wegrücker Eckhard Stratmann erläutert, „nicht von Montag auf Dienstag, sondern planvoll innerhalb des nächsten Jahres“. Das Strickmuster der Broschüre ist einfach. Den „Behauptungen“ der Atomfreunde werden die „Tatsachen“ der Grünen gegenüber gestellt. Zum Beispiel: „Die enormen Kraftwerksüberkapazitäten machen es möglich, daß bei Abschaltung aller Atomkraftwerke die Stromversorgung uneingeschränkt fortgesetzt werden kann.“ Oder: „Eine Verminderung der Schwefeldioxid– und Stickoxidemissionen kann erreicht werden, wenn der Ausstieg aus der Atomenergie verknüpft wird mit einer ökologischen Optimierung der fossilen Kraftwerke sowie einem Tempolimit.“ Im zweiten Teil ihres Programms zeigen die Grünen auf, was passiert, wenn die Bundesregierung noch zehn oder zwanzig Jahre an der Atomenergie festhält. Dann nämlich wird der Stromüberschuß nach wie vor alle alternativen Energien an den Rand drängen. Darüberhinaus belasten die bundesdeutschen Atomkraftwerke die Umwelt pro Sekunde mit 15 Millionen Becquerel. Vom „Restrisiko“ eines Kernschmelzunfalls einmal ganz zu schweigen. Dieses ist übrigens selbst nach der von der Atomindustrie in Auftrag gegebenen „Deutschen Risikostudie Kernkraftwerke“ gar nicht so klein. Demnach müssen wir noch vor dem Jahr 2000 mit einer Wahrscheinlichkeit von 4,8 Prozent mit einem solchen Unfall rechnen.
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