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P O R T R A I T Don Roberto, der Schauspieler als Elefant und Schmetterling

■ Zum Tod des chilenischen Schauspielers Roberto Parada, einer der populärsten Künstler in Pinochets Diktatur

Von Antonio Skarmeta

Am Dienstag wurde in Santiago de Chile der oppositionelle Schauspieler Roberto Parada beerdigt. Er war letzte Woche in Moskau gestorben. Bis zum September hatte er in der chilenischen Hauptstadt gelebt. Seine Beerdigung wuchs sich zu einer der größten Demonstrationen gegen die chilenische Diktatur seit 1973 aus. (d.Red.) Roberto Parada lernte ich in meinem Gymnasium kennen. Er war Englischlehrer. Nachts spielte er im Theater, und am nächsten Tag rezitierte er uns mit pathetischer Stimme Gedichte von Longfellow und Edgar Allan Poe. Wir waren ja nicht mehr gerade klein. Aber er erschien uns ein riesiger Typ. Und noch beachtlicher als sein Körper war seine Stimme. Im chilenischen Theater geradezu eine mythische Stimme, die ihm zum Segen gereichte, aber ihm in gewisser Weise auch zum Verhängnis wurde. Denn man gab ihm immer die Rolle von „Autoritäten“: König, Gouverneur, Hauptmann. Er war ein histrionischer Schauspieler, temperamentvoll, emotional, einer, der seine Gefühle nicht zurückhielt, und es gefiel ihm, feierliche Atmosphären zu schaffen, vor allem, wenn das gewöhnliche Volk Zuschauer war. Dann fühlte er sich zuhause in der großen Familie der chilenischen Linken. Nach dem Putsch 1973 beschloß er, in Chile zu bleiben, und nach den ersten Monaten schärfster Repression begann er bei unabhängigen Gruppen als Schauspieler zu arbeiten. Es war keine leichte Entscheidung, denn sein politisches Engagement als Kommunist war niemandem ein Geheimnis, und wer auch nur halbwegs auf dem Laufenden war, wußte, daß ein großer Teil seiner Familie seine Ideen teilte: einige in Chile, andere im Exil. 1983 schrieb ich die Geschichte meines Films „Brennende Geduld“. Noch während ich sie verfaßte, dachte ich schon an Parada in der Rolle von Pablo Neruda. Alles sprach für ihn: die äußerliche Ähnlichkeit mit dem Poeten grenzte an ein Wunder. Sie waren praktisch gleich alt, waren in der gleichen Partei und wurden vom Volk gleichermaßen verehrt. Ich schickte ihm also das Drehbuch zu und trug ihm die Rolle an. Ich befürchtete allerdings, daß er aus verschiedenen Gründen ablehnen würde. Vor allem hatte er ja Chile nicht verlassen, und die Rolle Nerudas mußte er in Portugal spielen. Aber er kam. Er traf an einem Apriltag aus Santiago ein. Den Text hatte er schon perfekt auswendig gelernt. Die ausgeglichene Mischung seines Humors, seiner Ironie und seiner Poesie entsprach meinen Traumvorstellungen. Es gab nur ein Problem zu lösen. Diesmal ging es nicht um ein Theaterstück, sondern um Kino, und seine Erfahrung auf diesem Feld war begrenzt. Parada war ein Mensch des Theaters, er spielte für die Galaxie. Das war also das erste, was wir bei den Proben diskutierten. Alles an ihm war wunderbar, abgesehen vom exzessiven Pathos, das im Theater Stimmung schafft, aber im Film notwendigerweise zurechtgestutzt werden mußte. Es handelte sich ja hier nicht um einen Monolog, sondern um einen Dialog zwischen ihm und der Kamera. Die ersten Proben gingen schief. Wir machten sie im Sandgestöber am Strand bei pfeifendem Wind. Wir machten Aufnahmen von den Proben, um die akustische Qualität im Freien zu überprüfen. Auf Tonband und mit Kopfhörer präsentierte ich ihm seinen „privaten“ Dialog. Er hörte es sich mit dem Staunen eines Kindes an und war sofort überzeugt, daß er seine Texte weder für mich noch für den Kameramann noch für den Horizont - wie großartig die portugiesischen Dämmerungen auch immer waren - hersagen mußte. „Jetzt hab ichs geschnallt, Maestro“, sagte er mir. Von da an hat er seinen voluminösen Stimmapparat auf eine solche Intimität heruntergeschraubt, daß er, überzeugt von seinen Erfolgen mich eines Tages umarmte und sagte: „Beim Film kommt es darauf an, Elefanten in Schmetterlinge zu verwandeln. „Mein lieber Elefant, mein zärtlicher und unvergeßlicher Schmetterling! Du bist weit weg von Chile gestorben. Vor zwei Jahren haben sie Deinen Sohn Jose Manuel Parada ermordet. Als bei diesem Mord, der überall im chilenischen Volk Empörung auslöste, die Ermittlungen auf eine Verwicklung von Knechten der Regierung hinwiesen, wurden sie eingestellt. Für die mutmaßlich Schuldigen wurde eine Amnestie verfügt. Daß Faschi sten Deinem Sohn die Kehle durchgeschnitten haben, erfuhrst Du, als Du gerade bei der Gruppe ICTUS in Santiago spieltest. Das Publikum und Schauspieler weinten vor Zorn. Sie wollten die Aufführung abbrechen. Du hast bis zum Ende weitergespielt. Erst als bei diesem Stück Benedettis, dessen Thema das Exil war, der Vorhang fiel, sagtest Du: „Ich widme diese Aufführung meinem geliebten Sohn, der von der Diktatur ermordet wurde.“ Dann hattest Du den Schlag und warst einseitig gelähmt. Du hast Chile verlassen. Langsam und nachhaltig verlorst Du Deine wunderbare Lebenskraft. Am Montag kam Deine Leiche in Chile an. Man hat mir erzählt, das Regime versucht, Deine Leiche zu entführen, um so zu verhindern, daß Deine Familie Dir ein öffentliches Begräbnis bereitet. Bei einem solchen würde das Volk bestimmt nicht nur Dein Fehlen beweinen, sondern auch den Haß gegenüber dem Regime zum Ausdruck bringen. Jetzt, wo ich dies schreibe, weiß ich noch nicht, ob sie Dein Begräbnis verboten oder erlaubt haben. Wie dem auch sei, sie können nicht verbieten, daß wir Dich lieben, daß wir für die Freiheit kämpfen, daß wir Dich nicht vergessen. Die Erinnerung an Dich zu verbieten, wäre, als ob man den Chilenen die Kordilleren der Anden verböte. Schlaf nun in Frieden. Denn Dein Volk ist wach. Skarmeta lebt seit 1975 in Westberlin. Seine jüngsten Bücher „Mit brennender Geduld“ und „Der Radfahrer von San Cristobal“ erschienen im Piper–Verlag. Er verfilmte seinen Roman „Mit brennender Geduld“ selbst. Der Film, in dem Parada die Rolle Pablo Nerudas spielt, hat Auszeichnungen bei internationalen Festivals erhalten.

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