: Die Altkleider–Connection kennt viele Wege
■ 800.000 Tonnen fallen jedes Jahr in der Bundesrepublik an, aber nicht alles, was als mildtätige Gabe in großen Säcken am Straßenrand abgestellt wird, findet den Weg zu den wirklich Bedürftigen / Ein großer Teil wandert ins Second–Hand–Geschäft / Die syrische Stadt Aleppo ist das Zentrum / Rotes Kreuz arbeitet mit kommerziellen Händlern zusammen, um die Transportkosten für ihre Hilfssendungen finanzieren zu können / Textilindustrie der Dritten Welt wird geschädigt
Von Bernd Müllender
Altkleider sind chic: wg. Nostalgie–Mode. Altkleider sind für viele unentbehrlich: wg. niedrigem Preis (karikative Kleiderkammern, Flohmärkte, Secon– hand–Läden). Altkleider sind ökologisch: wg. Wiederverwendung von Rohstoffen. Altkleider sind hilfreich: gegen das schlechte Gewissen des Wohlstandsbürgers und für die Linderung der Armut in der „Dritten Welt“ und auch hierzulande. Alles spricht für das Spenden von alten Textilien, die ja doch nur unbenutzt im Schrank herumliegen..., gerade jetzt, in der friedlichen Weihnachtszeit... Doch den gewünschten Zweck erfüllt nur ein winziger Bruchteil der ausrangierten und gespendeten Stoffen. Von der wohlmeinenden Kleidergabe profitieren nur selten die Ärmsten; meist profitieren gewiefte Geschäftsleute, die Internationale der modernen Lumpensammler. Welches Handelsgut bekommt man schon zum Einkaufspreis von DM Null? „Achtung! Altkleider– Sammlung. Am kommenden Dienstag wird gesammelt: Bekleidung, Wäsche, Textilien aller Art für Männer, Frauen und Kinder, Wolldecken und Bettwäsche sowie alle nicht mehr brauchbaren Textilien. Stellen Sie es bitte bis 9 Uhr an den Straßenrand.“ Solche Hinweise, mit Klebestreifen an den Haustüren befestigt, finden sich mancherorts fast schon im Monatsrhythmus. Kleingedruckt steht da irgendwo „gewerbliche Sammlung“ und scheinbar beruhigend: „Ihre Altkleider kommen nicht in den Reißwolf, sondern werden sortiert.“ Da wären die Sammler auch ganz schön dumm. Denn für all die Webwaren gibt es eine Reihe sehr unterschiedlicher, wiewohl ausnahmslos lukrativer Märkte. Die Zahlen sind imponierend: 800.000 Tonnen fallen pro Jahr in der Bundesrepublik an, davon etwa 650.000 aus privaten Haushalten. Immerhin 200.000 Tonnen landen in den Altkleidersammlungen, das andere schafft die Wohlstandsgesellschaft auf den Müll. Wenn diese, wie versprochen, sortiert sind, gehen knapp drei Viertel dennoch in den Reißwolf, verkäuflich für immerhin noch ein paar hundert Mark pro Tonne. Endprodukt: Dachpappen, Putzlappen, Teppichböden und sogar Geldscheine, die ohne einen Textilzusatz zu leicht zerreißen würden. 40.000 Tonnen fürs DRK Aber man muß ja nicht die gewerblichen Sammler an die eigene Wäsche lassen.... Ein solcher Vorsatz nutzt jedoch wenig, denn auch der größte Teil der von karitativen Organisationen wie Rotes Kreuz, Johanniter oder Caritas zusammengetragenen Hemden und Hosen, Blazer und Blusen, endet sehr schnell in den Händen der kommerziellen Händler. Das Deutsche Rote Kreuz zum Beispiel, der größte gemeinnützige Sammler, verkauft über die Hälfte seiner 40.000 Tonnen Altkleider pro Jahr an die private Konkurrenz. Bei rund 50 Pfennig pro Kilo kommen da Einnahmen von zehn Millionen Mark zusammen. Düsseldorfer Lumpen sind die feinsten und somit die begehrtesten: Sie bringen dem DRK den Höchstsatz von 63 Pfennig. Mancherorts sammelt das Rote Kreuz erst gar nicht mehr selbst. Weil ihm selbst die Möglichkeiten fehlen, die Straßen abzugrasen, erlaubt das DRK etwa in Hamburg einem privaten Entsorgungspartner unter dem rot–weißen Symbol zu agieren. Dafür erhält das DRK fünf Prozent für die eigenen Kleiderkammern und ein paar Pfennig pro Kilo zur indirekten Finanzierung der eigentlichen gemeinnützigen Aufgaben. Das DRK verteidigt diese Geschäftspolitik so: Eine Tonne Hilfgüter nach Afrika zu verschiffen, rechnet Altstoff–Experte Uwe Schwarz aus Oldenburg vor, kostet an die tausend Mark. „Irgendwo“, sagte er, „müssen wir dieses Geld ja herbekommen.“ Da wird halt so manche Tonne lieber gewinnbringend weiterverkauft als sie den Notleidenden direkt zu geben: „Wir se hen diesen Konflikt“, so Schwarz, aber wir sind eben nicht isoliert.“ Das sind die karitativen in der Tat nicht. Der Gang der Dinge im Business mit den gebrauchten Textilien bestimmen die weltweiten Händlerringe. Der Sammelanteil der Karitativen ist längst unter die Hälfte gedrückt. Die private Wäschebranche sorgt dafür, daß 30 Prozent von jährlich fast 50.000 Tonnen noch brauchbarer Kleiderstücke tatsächlich in den Entwicklungsländern enden - aber nicht als mildtätige Gabe, sondern als einträgliche Handelsware. Die Absatzpolitik ist wohldurchdacht. Dreißig große Sortierbetriebe machen sich hierzulande daran, die Stoffberge optimal weiterzuleiten. Die ärmsten Länder wie Ghana, Togo oder Pakistan werden mit der schlech testen Qualität beliefert, die besten Webwarenexporte gehen in die Basare des Orients. Die nordsyrische Stadt Aleppo ist eine der wichtigsten Umschlagstationen. „Was mitleidige Bundesbürger als wohltätige Spende für die Armen aus ihren Kleiderschränken aussortieren“, stellte der Orientforscher Professor Eugen Wirth aus Erlangen vor einigen Jahren in Aleppo fest, „wird hier ballenweise importiert, repariert und lukrativ im Basar weiterverkauft“. 5.000 Tonnen sind es allein in Aleppo pro Jahr an Kleidung aus der BRD; das ist das zehn– bis siebzigfache dessen, was das DRK jährlich an Katastrophenhilfe für die ganze Welt freigibt. Das gepflegte Herrenhemd aus den bundesdeutschen Entsorgungssäcken kostet in der Second– Hand–Modeboutique des Vorderen Orients runde zehn Mark, Anzüge an die hundert, die feinsten Damenkleider noch mehr. Wenig zu reparieren Die Flut der westlichen Garderobe hat für die wirtschaftliche Entwicklung nicht nur Syriens fatale Folgen. Beschäftigungsmöglichkeiten bieten die Lieferungen des Gewebe–Gewerbes kaum, die Kleidung ist weitgehend sortiert, zu reparieren ist nur wenig. Die Rechnungen müssen in harten Währungen bezahlt werden, das kostet Devisen und verschlechtert die Handelsbilanzen. Das traditionelle Textilhandwerk (Weber, Spinner, Schneider) muß zwangsläufig Einbußen hinnehmen. Zusätzlich gerät die inländische Textilindustrie mit jedem Container Altkleidung aus den Industrienationen mehr und mehr unter Druck. Immer weniger braucht im Inland hergestellt zu werden, immer mehr Arbeitskräfte sind vorhanden, immer weiter, so die unerbittlichen Gesetze des freien Marktes, sinken die ohnehin schon niedrigen Löhne. Und dann kann, so will es der Zynismus des kapitalistischen Handels, immer billiger in Drittweltländern neue Bekleidung für die reichen Länder hergestellt werden... Erschreckendes Fazit: Einzelne Spendenteile aus Altkleidersammlungen mögen wirklich einmal fremde Haut schützen und wärmen, in ihrer Masse verstärken die abgelegten Textilien aus den überentwickelten Ländern nur die Unterentwicklung der anderen Welt. Die indische Regierung hatte vor einigen Jahren auch so weit gedacht und versuchte, dieser fatalen Entwicklung einen Riegel vorzuschieben. Um die eigenen Wollspinnereien zu schützen, verhängte sie ein Einfuhrembargo für alle fremden Textilien. Nur der Import von Lumpen war gestattet. Aber was ist schon eine wohlgemeinte Maßnahme der Bürokratie gegen den Einfallsreichtum der Privatwirtschaft: Die internationalen Kleiderspekulanten trennten an allen unversehrten Textilien die Nähte ein paar Zentimeter auf, deklarierten sie beim indischen Zoll erfolgreich als Lumpen, und ließen sie von fleißigen indischen Kinderhänden für den üblichen Spottlohn wieder zusammennähen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen