Lebenslänglich für Boock

■ Statt dreimal „nur“ noch einmal Lebenslänglich für den RAF–Aussteiger / Oberlandesgericht Stuttgart erkennt keine strafmildernden Gründe an / Entsetzen im Gerichtssaal / Stammheim wie in den finstersten Tagen

Stuttgart (taz) - Peter Jürgen Boock selbst, seinem Verteidiger und den Prozeßbesuchern im erstmals vollbesetzten Verhandlungssaal der Stammheimer „Mehrzweckhalle“ verschlägt es die Sprache. Die Ruhe ist bedrückend, Richter Herbert Schmid, Vorsitzender des 5. Strafsenats am Oberlandesgericht Stuttgart, hat im Prozeß gegen Peter Jürgen Boock, ehemaliges Mitglied der RAF und „Aussteiger, ohne Verräter zu werden“, sein Urteil gesprochen. Lebenslänglich. Nicht dreimal, wie im zynischen Urteil der ersten Instanz, sondern nur einmal lautet das Urteil - und damit noch zehn Jahre bis überhaupt ein Antrag auf vorzeitige Haftentlassung möglich wird. Boock hat sein Gesicht in den Händen verborgen, seine Anwälte sind von dem Urteil enttäuscht, Klaus Vack und der Berliner Professor Wolff Dieter Narr reichen als Vertreter des „Komitee für Grundrechte und Demokratie“ eine erste Stellungnahme durch die Reihen der anwesenden Journalisten: Mit diesem Urteil, so steht da, habe der 5. Strafsenat des OLG Stuttgart den Versuch einer fairen Prozeßführung durch Boock und seine drei Verteidiger, in einem Aussteigerverfahren, zur „Makulatur erklärt“. Eine letzte Chance, mit einem milden Urteil dem „Terrorismus“ die Basis zu entziehen, sei damit leichtfertig vertan worden. Die Vermutung, der Bundesgerichtshof habe mit seiner Revisionsentscheidung im vergangenen Jahr und der Aufhebung des ersten Urteils im Strafmaß wegen der mangelhaften Begutachtung von Boocks ehemaliger Drogenabhängigkeit gar kein anderes, aber doch ein wasserdichtes Urteil erreichen wollen, drängt sich auf. Wie wenig das Gericht sich in Fragen der Drogenabhängigkeit, gar der Opiatabhängigkeit sachkundig gemacht hat, wie sehr es den Ausführungen eines pensionierten Psychiaters Glauben schenkte, der in seinem Gutachten Analogien zwischen Alkohol– und Opiatabhängigkeiten feststellte, ist erschreckend. Mit welchen Begründungen das Gericht die Bindungswirkung des ersten Urteils in seinem eigenen bestätigt, erinnert an die finstersten Stammheimer Tage. Dietrich Willier Fortsetzung Tagesthema Seite 3