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Jagdszenen aus der Oberpfalz

■ Nach dem Verbot der Bundeskonferenz der Anti–Atom–Bewegung wurden die Teilnehmer durch halb Bayern gejagt / Biologen–Tagung gleich mit aufgelöst

Aus Regensburg Luitgard Koch

Nach einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes am Freitag, die Bundeskonferenz der Anti–Atom–Bewegung (BUKO) in Regensburg zu verbieten, riegelte die Polizei am frühen Abend die Regensburger Altstadt hermetisch ab. Der geplante Versammlungsort, die Regensburger RT– Halle, war von Dutzenden von Mannschaftswagen umstellt, das Gelände mit Flutlicht ausgeleuchtet. Eine Spontandemonstration von rund 400 Teilnehmern stoppte die Polizei schon nach 200 Metern und kesselte die Demonstranten kurzzeitig ein. 24 Personen wurden vorübergehend „in Gewahrsam“ genommen. Gegen den Versuch, am Samstag in einer Gaststätte bei Schwandorf eine „geschlossene Klausurtagung“ durchzuführen, schritt die Polizei ebenfalls ein und erklärte zur Verblüffung des Veranstaltungsleiters, Professor Scheer, das Verbotsurteil beziehe sich auf ganz Bayern. Diese fernschriftliche Anweisung habe man aus dem Innenministerium bekommen. Trotz dieser massiven Behinderungen konnten sich die BUKO– Teilnehmer an verschiedenen Orten versammeln. Am Samstag war Professor Scheer von der Bundesfachschaftstagung der Biologen zu einem Referat über die „biologischen Folgen nach Tschernobyl“ geladen worden. Viele Teilnehmer der BUKO versammelten sich daraufhin im Tagungshaus der Biologen in Regenstaufen. Nach vier Stunden erschien auch hier die Polizei und löste mit einem massiven Aufgebot gleich die ganze Tagung der Biologen auf. Selbst das nicht verbotene Fest in Regensburg am Samstag abend konnte nicht ungestört über die Bühne gehen. Um einer Räumung zuvorzukommen, versuchten die Teilnehmer, die Halle zu verlassen. Auch hier hatte die Polizei das Gelände abgesperrt. Es kam zu drei weiteren Verhaftungen. 21 weitere Personen wurden in Regensburg festgenommen. Fortsetzung auf Seite 2 Begründet worden war das Veranstaltungsverbot durch die Stadt Regensburg und den VGH damit, daß in einem Reader zur Veranstaltungen zu strafbaren Handlungen aufgerufen werde. Als „Werbung für eine terroristische Vereinigung“ wurde ein Aufkleber mit der Aufschrift „Oberpfälzer Sägefische gegen WAA“ gedeutet. Den Auftrag zur Prüfung der Konferenzunterlagen hatte die Stadt Regensburg vom neu ernannten CSU–Staatssekretär Gauweiler im bayerischen Innenministerium erhalten. „Wir werten die Versuche, nun selbst die Bundeskonferenz zu verhindern, als Zeichen der inneren Schwäche und Unsicherheit der Regierung, die sie durch Demonstrationen polizeili cher Gewalt zu überspielen sucht“, beurteilte Professor Jens Scheer das skandalöse Vorgehen der bayerischen Behörden. Die polizeilichen Aktionen gegen die Konferenz der Atomgegner glichen am Freitag und am Samstag einem „Katz– und Maus–Spiel“. Quer durch den Landkreis verfolgte die Polizei die Spur von Konferenzteilnehmern und veranstaltete polizeiliche Jagdszenen in der Oberpfalz. Sie lieferte damit einen Vorgeschmack auf das politische Klima nach dem geplanten Erlaß der verschärften „Gesetze zur Terrorbekämpfung“. Die bayerischen Grünen und deren neue Landtagsfraktion haben die Vorgänge in Regensburg und in der Oberpfalz inzwischen in einem Fernschreiben als „einen Riesenskandal“ bezeichnet. Pünktlich zum vierzigsten Jahrestag der bayerischen Verfassung sei die Verfassung außer Kraft ge setzt worden. Die bayerische Staatsregierung habe sich, wenn der Fall nicht unverzüglich Konsequenzen nach sich ziehe, außerhalb der demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland gestellt. Die vom bayerischen Innenministerium veranlaßten Jagdszenen auf Atomkraftgegner und -gegnerinnen „hätten jeder Diktatur alle Ehre gemacht“. Trotz und gerade wegen der „Unrechtszustände“ in Bayern beschloß die BUKO, die für Mitte Februar geplante Konferenz der Anti–Atom–Bewegung wiederum in Bayern abzuhalten. An dieser nächsten Konferenz sollen auch die sogenannten „Becquerel–Gruppen“, Mütter– und Ärzteinitiativen sowie die Gewerkschaftsbewegung aktiv teilnehmen. Unter den am Regensburger Arnulfplatz Festgenommenen befand sich auch der 17jährige Dieter G. Ihm wird nun Widerstand gegen die Staatsgewalt und Körperverletzung vorgeworfen. Tatsächlich soll der Jugendliche weder gegen die Beamten noch gegen seine blitzschnell vorgenommene Festnahme angegangen sein. Auf dem Regensburger Polizeirevier sei er von einem Beamten mit dem Gesicht gegen die Wand gestoßen worden. Zeugen, die den Vorfall beobachteten, wollten Anzeige gegen den Beamten erstatten. Kommentar der Polizei dazu: „Erst wieder ab Montag acht Uhr.“ Als die Zeugen sich daraufhin weigerten, den Raum zu verlassen, wurde ihnen mit einer Anzeige wegen Hausfriedensbruch gedroht. Wie inzwischen bekannt wurde, sollen nach Angaben der Polizei in der Nacht von Freitag auf Samstag drei Anschläge auf bayrische Eisenbahnlinien verübt worden sein. Dabei sei Sachschaden in unbekannter Höhe entstanden.

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