Coming out der Jugend

■ Zur Demonstration von Schülern und Studenten in Paris

Mururoa, Greenpeace, Cattenom - drei Namen prägen heute das Frankreichbild der bundesdeutschen Linken. Die alten Referenzen, Sartre und der Pariser Mai 68 sind längst vergessen. Mururoa, Greenpeace und Cattenom passen prima ins Dreigestirn unserer alternativen Gedankenwelt: Frieden, Ökologie und Dritte Welt. Die neue französische Schüler– und Studentenbewegung hat nichts mit alledem im Sinn. Sie protestiert gegen ein einziges Gesetz, nennt sich unpolitisch und birgt damit das Risiko in sich, als zufälliger kollektiver Ausdruck rein individualistischer Bedürfnisse verstanden zu werden. Die Bedeutung dieses Jugendprotestes - dem zahlenmäßig größten seiner Art in einem westlichen Industrieland seit den Studentenunruhen der sechziger Jahre - aber reicht tiefer. In Frankreich findet derzeit eine neue Generation zu ihrer ersten gesellschaftlich relevanten Protestäußerung. Sie ist dem Konsumterror der Bildschirme, Video, TV und Computer stärker ausgesetzt als jede vorherige und wird von den Vertretern der Postmoderne totgesagt. Sie kennt im Zeitalter struktureller Arbeitslosigkeit nur noch die Einzelkämpferperspektive als Möglichkeit gesellschaftlicher Integration. Die neue französische Schüler– und Studentenbewegung räumt mit diesen Illusionen auf. Sie kämpft um gleiche Chancen, weil die soziale Realität keine Chance mehr läßt. Dabei stößt sie nicht nur auf den Streik und die direkte Demokratie als traditionell linke Organisationsformen, sondern auf einen gemeinsamen Wert, der bis heute Kernstück linker Utopie geblieben ist: Gleichheit. Ob und wie die Bewegung diesen Wert für sich weiterentwickeln wird, bleibt abzuwarten. Mururoa, Greenpeace und Cattenom reichen nicht mehr aus, Frankreich zu beschreiben. Georg Blume