Rückzug aus Kambodscha ?

Als das sowjetische Politbüromitglied Igor Ligatschow am Montag in Hanoi auf dem Parteitag das Wort ergriff, ließ er keinen Zweifel daran, daß Moskau auch für Vietnam eine Verbesserung der Beziehungen zu China wünscht. Die Normalisierung des vietnamesisch–chinesischen Verhältnisses würde die Lage in Asien und der Welt zum Besseren hin verändern. Das mag aus Moskauer Sicht richtig sein. Für die vietnamesische Führung käme dies jedoch dem Verzicht aller Großmachtträume gleich: Vietnam müßte zuvor, so die Forderung aus Peking, einer „politischen Lösung“ in Kambodscha zustimmen und seine Truppen aus dem Nachbarland zurückziehen. Und weil auch Ligatschow weiß, daß hier die Schmerzgrenze für die vietnamesischen Genossen erreicht ist, erwähnte er diese Konsequenz mit keinem Wort. Im Gegenteil: Er lobte die in Kambodscha verfolgte Politik Vietnams als „vernünftig und gerecht“, fügte aber hinzu, daß die aus der Sowjetunion geleistete Wirtschaftshilfe für das Land „effektiver“ angewendet werden sollte. Ein Hinweis darauf, daß die UdSSR nicht mehr bereit ist, die vietnamesische Politik unbesehen zu unterstützen. Eine neue Asienpolitik kündigte Gorbatschow bereits auf seiner immer mehr beachteten Rede am 28. Juli in Wladiwostok an. Kernpunkt: Normalisierung der Beziehungen zu China. Die Antwort aus Peking ließ nicht lange auf sich warten. In einem Interview mit der amerikanischen Fernsehgesellschaft CBS erklärte Deng Xiaoping im September, wenn die Sowjetunion bereit wäre, durch Druck auf Vietnam zur Lösung der Kambodschafrage hinzuwirken, könne er sich ein Treffen mit Gorbatschow vorstellen. Mit dieser Erklärung war die chinesische Führung von ihrer früheren Position abgerückt. Vorher hatte sie für die Verbesserung des sino–sowjetischen Verhältnisses drei Punkte vorangestellt: Den Abzug der sowjeti–schen Truppen aus Afghanistan, die Reduzierung des Angriffspotentials im Fernen Osten sowie eine politische Lösung für Kambodscha, die den Truppenrückzug der Vietnamesen aus diesem Land mit einschließt. Die Reduktion auf Kambodscha macht Gorbatschow ein Entgegenkommen wesentlich leichter. Entsprechend nervös reagierte Hanoi. Trotzig erklärte ein Offizieller im Oktober, eine Lösung des Kambodschakonflikts hinge allein von Vietnam und Kambodscha ab und verwies darauf, daß auch während der Zeit des Vietnamkriegs die Politik der Kommunisten Vietnams nicht von außen beeinflußt werden konnte, „obwohl damals die Hilfe weit wichtiger war als jetzt“. Und er verwies auf die strategischen Interessen der Sowjetunion in Südostasien, die mit den Interessen Vietnams übereinstimmten– eine Annahme, die viel Optimismus ausstrahlt. Denn spätestens nach dem in kühler Atmossphäre verlaufenden Besuch des inzwischen zurückgetretenen Generalsekretärs Truong Chinh in Moskau mußten die Vietnamesen die Realitäten anerkennen. Daß sich Hanoi schon vor dem Parteitag in sein Schicksal zu fügen begann, zeigen die Kontakte, die im November zu Prinz Sihanouk, dem ehemaligen Ministerpräsidenten und politischen Führer der „bürgerlichen Kräfte“ im Exil hergestellt wurden. Inhalt der vietnamesichen Botschaft war, daß sich Vietnam nicht mehr grundsätzlich gegen Verhandlungen auch mit den kommunistischen Rebellen sperren würde. Allein deren Führer, Pol Pot, der letztlich die Verantwortung für die Ermordung von Hunderttausenden von Kambodschanern in der Zeit seiner Herrschaft trägt, wäre das große Hindernis. Seit Anfang Dezember die Meldung kam, Pol Pot hätte seine Führungsposition beim Khmer Rouge verloren, sind direkte Verhandlungen der jetzigen, von Vietnam abhängigen Regierung, und den kambodschanischen Widerstandsgruppen nicht mehr ausgeschlossen. Auf dem Parteitag, so scheint es, sind auch die personellen Voraussetzungen für eine neue Politik auf der vietnamesischen Seite geschaffen worden. Erich Rathfelder