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Entscheidungsschlacht im Tschad?

■ Die Libysche Armee versucht ihre ehemaligen Verbündeten der „Volksarmee“ Gukuni Wedeeyes ins Tibesti–Gebirge zu treiben. Ziel der Operation: Die Festschreibung der faktischen Teilung des Tschad

Aus Lome Knut Pedersen

Seit nunmehr zwanzig Jahren, seit der Gründung der „Nationalen Befreiungsfront“ (FROLINAT) im Jahre 1966, endet im Tschad der letzte Waffengang mit der neuesten Verhandlungsrunde und umgekehrt. Unter militärischen Gesichtspunkten läßt sich die gegenwärtige Situation im Tschad rasch zusammenfassen: Nachdem der langjährige Chef der tschadischen Opposition, Gukuni Weddeye, Ende Oktober das Bündnis mit Libyen endgültig gebrochen hat, muß sich heute entscheiden, wer die drei nördlichen Provinzen des Tschad - Borkou, Ennedi und Tibesti - kontrolliert. Die Libysche Armee hat damit begonnen, die Toubou– Krieger Gukuni Weddeyes in ihrer natürlichen Festung, dem Tibesti–Gebirge, anzugreifen. Vor zwei Wochen hat die libysche Luftwaffe ihre ersten Angriffe auf Bardai geflogen, angeblich unter Einsatz von Napalmbomben. Inzwischen wurden auch andere, von Gukunis Truppen gehaltene Oasenstädte bombardiert, und in der tschadischen Wüste zeichnet sich eine Zangenbewegung libyscher Panzerkolonnen ab. Deren Ziel besteht darin, den tschadischen Norden abzuriegeln. Denn Libyens Armee operiert im Wettlauf mit den Truppen des tschadischen Präsidenten Hissein Habres, die vom Süden aus versuchen, den - so der neue Sprachgebrauch der lange verfeindeten Brüder - „patriotischen Streitkräften Gukuni Weddeyes“ zu Hilfe zu kommen. Die Frage ist, ob es Libyen gelingt, den Ring um die „Volksarmee“ zu schließen, bevor die reguläre Armee Habres diese entsetzen kann. Solange Frankreich auf seiner bisherigen Position beharrt, daß allein der 16. Breitengrad gegen etwaige libysche Invasionsgelüste zu verteidigen ist, wird die Tschadische Armee kaum in der Lage sein, das libysche Kesseltreiben zu verhindern. Hissein Habre setzt Frankreich zunehmend unter Druck, offensiv zu intervenieren. Ihr Argument: Wenn es Libyen gelingt, die Truppen Weddeyes aus den Ebenen der tschadischen Wüste ins Tibesti– Gebirge zu treiben, ist die nördliche Hälfte des Tschad faktisch annektiert. Ohne Unterstützung der französischen Luftwaffe kann sich Hissein Habre die in den letzten Wochen vielbeschworene „Rückeroberung des tschadischen Nordens“ tatsächlich aus dem Kopf schlagen. Und Gukunis Truppen säßen im Tibesti–Gebirge zwar vielleicht in einer uneinnehmbaren Festung, aber zugleich auch in einer wenig beneidenswerten Falle: Abgeschnitten von der Außenwelt könnten sie im besten Falle erbärmlich überleben, im schlimmsten Falle würden sie - mitsamt der Zivilbevölkerung - wehrlos von der libyschen Luftwaffe in Grund und Boden bombardiert. Aus libyscher Sicht geht es derzeit im Tschad ums Ganze. Sollte es der libyschen Armee tatsächlich gelingen, den tschadischen Norden zu „pazifizieren“, dann gewänne Tripoli den zweifellos sichersten politischen Verbündeten: Dauer. Es könnten Jahre vergehen, bis schließlich eine Regelung ausgehandelt würde, die dann zweifellos allen Hegemoniansprüchen Libyens über den südlichen Nachbarn weitgehend Rechnung tragen müßte. Das aber heißt nichts anderes, als daß es auch für Hissein Habre derzeit ums Ganze geht. Ob er darum bereit ist, seine Armee in einen aussichtslosen Kampf zu schicken, ist eine Frage. Ob er die französische Regierung damit unter unausweichlichen Druck setzen könnte, eine zweite. Die Reaktion in Paris bedingt die Entscheidung, ob Hissein Habre die nationale Existenz auf die militärische Karte setzt. Habre könnte auch auf Zeit spielen. Libyens „Befriedung“ des tschadischen Nordens ist ja nicht nur ein militärisches, sondern auch politisches und diplomatisches Problem. Ndjamena könnte vor allen internationalen Instanzen den „Libyschen Agressor“ geißeln, zumal der neue Chef der mit Libyen verbündeten tschadischen Opposition, Acheikh Ibn Oumar, nicht über die historische Legitimität und Glaubwürdigkeit eines Gukuni Weddeye verfügt. Im Gegenteil: Ibn Oumar erscheint heute als die „arabische“ und mithin letzte Karte Ghaddafis, der seit jeher die tschadische Frage in rassischer, wenn nicht rassistischer Perspektive analysiert - wobei Ghaddafi die „arabischen Glaubensbrüder“ ungefragt seinem libyschen Reich zuschlägt, während er in Hinblick auf die nördliche „Goran“–Bevölkerung immerhin Erlösungshoffnungen hegt. Was die von ihm mit aller Verachtung geschlagenen „südlichen Neger“ betrifft, so könnten sie nach seiner Vorstellung als eine Art „Rumpf–Tschad“ im Busch überleben. Auf solchem Niveau läßt sich freilich heute im Tschad keine Politik mehr betreiben. Und politisch ist Libyen - was immer in diesen Wochen militärisch vor sich gehen mag - auch tatsächlich am Ende. Der „Südistenführer“ Abdelkader Kamouge, Mahamat Terab von der „Ersten Armee“ und viele andere der historischen Köpfe der früheren „Nationalen Übergangsregierung“ (GUNT), stehen heute abseits zwischen Baum und Borke: noch nicht - und vielleicht niemals auf der Seite Hissein Habres, aber auch nicht mehr auf Seiten einer Opposition, die mehr denn je als „objektiver Büttel Ghaddafis“ erscheint. Ein Ausdruck, den sich seit Jahren tschadische Patrioten an den Kopf werfen, die auf der Suche nach taktischer Unterstützung noch immer in die strategische Irre geraten. Und ich erinnere mich an ein freundschaftliches Abendessen in Paris, im Spätsommer 1984, in dessen Verlauf ein junger und geistreicher tschadischer Mathematiker das böse Wort auf Gukuni Weddeye münzte. Der junge Mann hieß Acheikh Ibn Oumar.

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