Friedenshoffnung in Afghanistan

■ Seit Donnerstag früh ist der vom Kabuler Regime erklärte Waffenstillstand in Kraft

Die Stimmung in den afghanischen Flüchtlingslagern entlang der pakistanischen Grenze schwankt, Agenturmeldungen zufolge, zwischen Hoffnung, Verwirrung und Zweifel. Obwohl die Geldwechselstuben von Leuten b Widerstandsgruppen haben unterdessen bereits Angriffe auf Militäreinrichtungen angekündigt.

Als die Maschine aus Moskau in Kabul landete, waren die sonst üblichen Propagandaparolen über die sowjetisch–afghanische Freundschaft abgenommen. Die über 30 westlichen Journalisten, die in einer Blitzaktion nach Afghanistan gebracht wurden, sollen über das Wesentliche berichten: über den einseitig ausgerufenen Waffenstillstand des Kabuler Regimes. Und auch darüber, daß die sowjetischen Truppen in den Waffenstillstand eingeschlossen sind. Die Soldaten sollen in den Kasernen bleiben und „auf Provokationen nicht reagieren“. Doch wer die Feindseligkeiten fortsetzt, so General Zabjullah Zijarmal, „der wird ausgemerzt.“ Kein Wunder also, daß westliche Lästermäuler in der Operation „Nationale Versöhnung und Waffenstillstand“ lediglich ein Propagandamanöver des Regimes sehen, zumal es im Winter leicht sei, einen Waffenstillstand auszurufen, da die Mudjaheddin aufgrund der Witterungsbedingungen zu größeren Attacken sowieso nicht in der Lage seien. Doch bei näherem Besehen liegen die Dinge nicht so einfach. Die starken Worte der Vertreter des Regimes können kaum deren Nervosität überdecken. Der Waffenstillstand und eine Konzeption des Abzugs der sowjetischen Truppen sind nämlich nicht hausgemacht. Seit einigen Wochen hat sich der Druck der Sowjetunion auf Kabul verstärkt, einer Lösung des Konfliktes zuzustimmen. Zum siebten Jahrestag des Einmarsches sowjetischer Truppen am 27.Dezember legte der afghanische Staatschef Nadjibullah überraschend seinen Vorschlag für die Waffenruhe und Nationale Aussöhnung vor. Noch bei seinem Moskaubesuch Mitte Dezember 1986 konnte der afghanische Parteichef die „Revolution als unumkehrbar“ bezeichnen und Gorbatschow zustimmen, als der davon sprach, daß die Sowjetunion „unseren Nachbarn nicht in einer schwierigen Situation alleinlassen“ würde. Als dann der sowjetische Außenminister bei seinem Blitzbesuch am 6. Januar in Kabul klarstellte, ein Neubeginn als „souveränes und neutrales Land“ sei möglich, hörte sich wieder alles anders an. Mit Blick auf Pakistan fügte er hinzu, daß sich Feinde von gestern für „gute Nachbarschaft“ entscheiden sollten. Schwenkt Pakistan um? War dieser Hinweis auf Pakistan nur eine diplomatische Floskel? Seit dem 8. Dezember jedenfalls gibt es intensive Gespräche zwischen der UdSSR und dem Land, das über drei Millionen afghanische Flüchtlinge beherbergt. Damals war fast unbemerkt von der Presse der pakististanische Außen–Staatssekretär Abdul Sattar nach Moskau geeilt, um sich die Aussagen Gorbatschows bei dessen Indienreise Ende November interpretieren zu lassen. Dort hatte der Kremlchef in Übereinstimmung mit dem indischen Ministerpräsidenten ungewöhnlich freundliche Worte für Pakistan gefunden, von dessen Territorium immerhin über 150.000 afghanische Freischärler aus operieren. Aufgrund der innenpolitischen Schwierigkeiten in Pakistan, so das sowjetische Kalkül, wachsen in der Diktatur Zia–Ul Haq trotz der riesigen US–amerikanischen Finanz– und Militärhilfe Zweifel an der Fortführung des Krieges in Afghanistan. Und da bei den Verhandlungen unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen in Genf Pakistan die Interessen des afghanischen Widerstands vertritt, könnte ein Umschwenken des Landes mehr Druck auf die Widerstandsorganisationen bedeuten. Der UN–Unterhändler Diego Cordovez hatte Anfang Dezember nach zweiwöchiger Reisediplomatie zwischen Islamabad und Kabul schon eine Voraussetzung für die Klimaverbesserung zwischen den Kontrahenten hergestellt. Seine Erklärung, beide Seiten hätten sich darauf geeinigt, daß eine Truppe der Vereinten Nationen den noch auszuhandelnden Truppenabzug vom Hindukusch beaufsichtigen sollte, nannte er selbst „beispiellos“. Die Erklärung Schewardnadses, die UdSSR werde in jeder Weise die Anstrengungen auf der Gesprächsebene - sei es in Genf, Islamabad oder New York - unterstützen, gibt den diplomatischen Anstrengungen über die Vereinten Nationen zumindest Rückhalt, was in der Vergangenheit nicht der Fall war. So sind die am 11. Febraur in Genf geplanten Verhandlungen aufgewertet. Das schwierigste Problem, einen Zeitplan für den Truppenrückzug tatsächlich zu erstellen, ist jedoch bis heute nicht gelöst. Der von Gorbatschow angeordnete Abzug von sechs Regimentern im Herbst 1986 war eine Geste des guten Willens. Doch die Tatsache, daß nun über einen Zeitplan überhaupt diskutiert wird - Pakistan fordert den Rückzug innerhalb von drei Monaten, nach Schewardnadse will die UdSSR den bisherigen Vier–Jahresplan revidieren - läßt Hoffnungen bei Optimisten aufkeimen. Direkte Verhandlungen allerdings, wie dies die afghanischen Widerstandsbewegungen vorgeschlagen haben, wurden von der sowjetischen Führung nicht erwähnt. Weiterhin soll Kabul über einen etwaigen Truppenrückzug „entscheiden“. Diese auf den ersten Blick unscheinbaren Fortschritte auf der diplomatischen Ebene sind möglicherweise höher einzustufen als das Angebot des Waffenstillstands durch das Kabuler Regime, das im Kern die Herrschaft der Kommunisten in Afghanistan verlängern soll. Die Frage ist also, wie weit die Sowjetunion auch gegen die Interessen der Kabuler Freunde zu gehen bereit ist. Erich Rathfelder