: Nord–Süd–Konflikt in der EG kommt auf den Punkt
■ Haushaltsstreit wurde zur Machtprobe zwischen armen und reichen Mitgliedern Vorgefecht für die Diskussion über neue Finanzordnung der Gemeinschaft
Brüssel (dpa/taz) - Die Finanz– und Budgetminister der Europäischen Gemeinschaft haben am Samstagmorgen nach zwölfstündigen Verhandlungen in Brüssel keine Lösung im Konflikt um den EG–Haushalt 1987 gefunden. Der Sonderrat konnte sich vor allem wegen unüberbrückbarer Gegensätze zwischen den nördlichen und südlichen EG–Ländern nicht auf einen neuen Haushaltsplan verständigen. Das Haushaltsproblem ist endgültig in eine politische Zerreißprobe gemündet, die den Zusammenhalt der Zwölfergemeinschaft bedroht. So deutlich wie bei den Haushaltsberatungen an diesem Wochenende in Brüssel waren die Fronten zwischen nördlichen und südlichen Ländern zuvor noch nie aufeinandergeprallt. Beide Seiten wollten angesichts der bevorstehenden Debatte über ein neues längerfristiges Finanzsystem der Gemeinschaft keinerlei Konzessionen mehr machen. Der Ministerrat war wegen dieser Blockbildung, die eine Mehrheitsentscheidung unmöglich machte, nicht in der Lage, dem Europa–Parlament ein neues Budget für 1987 vorzulegen. Damit gibt es - voraussichtlich auf Monate hinaus - keinen gültigen Haushaltsplan für dieses Jahr, und die Gemeinschaft muß vom Notregime der „provisorischen Zwölftel“ leben - von Zahlungen auf Monatsbasis entsprechend den Vorjahres–ausgaben. Daß die Gemeinschaft Jahr für Jahr in neue leidige Haushaltsprobleme schlittert, ist nicht mehr neu. Das Europa–Parlament hatte im Dezember einen Haushalt angenommen, der allerdings nicht rechtswirksam werden konnte, da die Abgeordneten ohne Einvernehmen des Rates höhere Ausga ben als dieser vorsahen und dabei den ihnen nach den Haushaltsregeln zustehenden Spielraum überschritten. Der Konflikt liegt jetzt aber nicht mehr nur zwischen Rat und Parlament, sondern zusätzlich im Ministerrat selbst. Hier hieß es nach zwölfstündigen Verhandlungen im Brüsseler Ratsgebäude Charlemagne am Samstagmorgen: „Nichts geht mehr“. Im Ministerrat kam es zu einer Kraftprobe zwischen den nördlichen und den südlichen Ländern. Die erste Gruppe ist strikt gegen eine Erhöhung des vereinbarten Ausgaberahmens für die Regional– und Sozialpolitik, Forschung und Entwicklungshilfe. Die von Italien angeführten Mittelmeerländer sowie Irland, die eine Sperrminorität gegen Ratsbeschlüsse bilden können, streben dagegen eine Erhöhung dieser Posten an. Für beide Seiten ging es längst nicht mehr um Zahlen: Der Streitwert war angesichts riesiger Milliarden–Deckungslücken, über die überhaupt noch nicht gesprochen worden ist, mit etwa 0,25 Prozent der Haushaltsmasse geradezu läppisch. Es ging vielmehr um eine „politische Grundsatzentscheidung“, wie es der Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, Hans Tietmeyer, formulierte. Ziel der Südstaaten ist eine Gemeinschaft, die wirtschaftlich ausgeglichener ist, in der der Abstand zwischen den wohlhabenden Ländern im Norden und den ärmeren Ländern im Süden über das EG–Budget schrittweise eingeebnet wird. Die nördlichen Länder hingegen pochen auf „Haushaltsdisziplin“ und strikte Obergrenzen für Ausgaben außerhalb des Agrarbereichs. Als „Nettozahler“ akzeptieren die Bundesrepublik, Großbritannien und Frankreich zwar, daß für eine unsinnige Agrar– Überschußproduktion mehr als zwei Drittel des EG–Haushalts vergeudet werden, sie möchten aber nicht weitere Brüsseler Mittel im Bereich der Sozial– und Regionalpolitik festgelegt sehen. Für sie ist die Förderung von Forschung und Technologieentwicklung angesichts des internationalen Konkurrenzdrucks vorrangig. Keine Seite wollte Terrain aufgeben, denn die „große Debatte“ über die zukünfige Finanzierung der Gemeinschaft steht ins Haus. Der amtierende Ratspräsident und belgische Budgetminister Guy Verhofstadt: „Man hat mehr an das künftige Finanzierungssystem der Gemeinschaft gedacht als an eine Lösung für den Etat 1987.“ Klar geworden ist für die zukünftige Entwicklung, daß die „Sperrminorität“ der Südländer funktioniert: An ihren Interessen vorbei werden die Finanzen der Gemeinschaft nicht neu geordnet werden können.
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