: Bankenreform in Ungarn - Schritt zum westlichen Modell
■ Nationalbank wird sich künftig auf die Aufgaben einer Notenbank beschränken / Geschäftsbanken künftig als Aktiengesellschaften - aber vorerst noch im Staatsbesitz / Studie über das bisherige System: Schlechtes Wirtschaften wurde durch staatliche Kredite belohnt
Von Farkas Piroschka
Mit einer Staatsverschuldung in Rekordhöhe ging die ungarische Regierung in das Haushaltsjahr 1987. Wie eine Reihe von Ostblockstaaten schiebt zwar auch Ungarn eine gehörige Auslandsschuld vor sich her, immer schmerzlicher rücken in Budapest jedoch insbesondere die Staatsschulden ins Bewußtsein, die bei der öffentlichen Stützung maroder Betriebe entstehen. Diese Last droht das ohnehin labile wirtschaftliche Gleichgewicht endgültig zu kippen. Eine solche Entwicklung würde unweigerlich auf das Ende des „ungarischen Weges“ hinauslaufen. Wie sehr die Regierung Kadar mit dem Rücken zur Wand steht, wird nicht nur daran deutlich, daß der Finanzminister und der Planungschef zum Jahreswechsel gefeuert wurden. Bedeutsame Reformen sind am 1.1.1987 in Kraft getreten. Die wesentlichste unter ihnen ist die Reform des Bankensystems, eine Reform, die seit längerem zu den zentralen Forderungen der demokratischen Opposition gehört und in der sozialistischen Welt bisher einmalig ist. Seit ihrer Verstaatlichung 1947 nahm die Mammutinstitution Ungarische Nationalbank (NB) sämtliche im Bankwesen anfallenden Aufgaben - von der Banknotenemission bis hin zum Kreditgeschäft - wahr. Eine Ausnahme bildeten die Kredite und Einlagen von Privatpersonen, die von einem weiteren Monopolisten, der staatlichen Sparkasse abgewickelt wurden. Die neue Bankstruktur sieht nun zwei Ebenen vor. Die fast neugegründete Nationalbank nimmt in Zukunft die klassischen Aufgaben der Notenbank westlichen Zuschnitts wahr. Sie wird die „Bank der Banken“, der zentrale Kreditgeber, der die von den Handelsbanken vergebenen Kredite refi nanziert. Sie ist also ihrerseits mit Krediten versorgt. Als Notenbank beeinflußt sie die Tätigkeit der Handelsbanken mit verschiedenen Mitteln, sie schreibt ihnen die „Mindestreserven“ vor und bestimmt somit, welcher Prozentsatz der Einlagen bei der National bank zurückgelegt werden muß. Durch die Bestimmung des zentralen Zinssatzes beeinflußt sie auch die Zinspolitik der Handelsbanken. Am 1. Januar erhielten fünf Banken die Lizenz für die Tätigkeit als Handelsbanken. Sie sind durchweg umorganisierte ehemalige Abteilungen der Nationalbank bzw. der staatlichen Entwicklungsbank. Vier Prozent ihrer geschätzten Bilanzsumme erhielten sie von der NB als Grundkapital. Die Handelsbanken sind Aktiengesellschaften, die Aktien bleiben gegenwärtig zu 100 Prozent in staatlichem Besitz. In Zukunft können aber auch andere Wirtschaftsorganisationen Aktionäre werden. Davon ausgeschlossen sind ausländische Unternehmen und Privatpersonen. Die Handelsbanken dürfen keine Devisengeschäfte abwickeln, das Devisenmonopol erhält weiterhin die NB. Zunächst sind Wirtschaftsunternehmen unter den Handelsbanken aufgeteilt, so daß möglichst jede Bank in gleichem Maße gute wie schlechte, große wie kleine Betriebe als Kunden erhält. Voraussichtlich in einem halben Jahr wird diese erste Aufteilung aufgehoben und jeder Betrieb kann sich frei für eine Bank entscheiden. Weiterhin erhalten bleiben die Staatliche Entwicklungsbank, die die direkten staatlichen Finanzierungsaufgaben abwickelt. Diese Bank hat eine Bedeutung bei den planwirtschaftlichen Investitionen. Ihre Rolle ist unter Fachleuten äußerst umstritten, da sie mit den direkt und umsonst zugewiesenen Geldern dem Konkurrenz system der Banken diametral entgegenwirkt. Wie der stellvertretende Vorsitzende der NB, Body Laszlo erklärte, ist es das Ziel der Bankreform, die betriebliche Selbständigkeit zu fördern. Das direkte staatliche Hineinregieren in die Betriebe (was hauptsächlich über die bisherige NB geschah) soll durch eine allgemeine, für alle gültige und öffentlich durchschaubare Finanzpolitik abgelöst oder zumindest eingeschränkt werden. Bisher war die NB eine typische planwirtschaftliche Institution, die in der Hauptsache mit der Umverteilung der betrieblichen Gewinne und Verluste beschäftigt war, insofern mußte es ihr prinzipiell egal sein, ob sich ein Kredit (der unter diesen Umständen als solcher gar nicht bezeichnet werden dürfte) auszahlt oder nicht. Die wichtigsten Finanzierungsquellen wurden durch den staatlichen Plan von vornherein verteilt, so daß einem Kreditwesen, das der betrieblichen Effektivität entsprochen und sie gefördert hätte, wenig oder gar kein Raum blieb. Über das staatliche Budget erhielten die Betriebe „umsonst“ Geld, so daß sie auf ein Kreditwesen im eigentlichen Sinne gar nicht angewiesen waren. Zu welchen Ergebnissen diese Politik führte, zeigt eine unlängst abgeschlossene groß angelegte Studie über die Bilanzen aller Staatsbetriebe seit 1975. Die Autoren stellen fest, daß die Gewinne der Betriebe nur in sehr geringem Maße von ihrer eigenen Aktivität und der Marktlage abhingen. Die betriebliche Wirtschaftslage sei vielmehr ein Ergebnis der staatlichen Umverteilung und von bürokratischen Eingriffen. Die zentrale Umverteilung entziehe die Gewinne und kompensiere die Verluste, d.h. im Grunde wird das schlechte Wirtschaften mit Zuschüssen belohnt. So wären die Investitionsmöglichkeiten eines mit Gewinn arbeitenden Betriebes nicht größer als die eines Betriebes mit Verlusten. Hinzu kommt aber auch, daß die Politik der staatlichen Umverteilung völlig undurchsichtig, einzelfallverzogen und somit der betreffenden Kontrolle nicht zugänglich ist. Wenn die Reform des Bankwesens den Bereich der direkten und damit unkontrollierbaren Eingriffe des Staates ins Wirtschaftsleben einengt, kann sie nicht nur die wirtschaftliche Effektivität sondern auch die Öffentlichkeit im gesellschaftlichen Leben stärken, so jedenfalls das Motiv der Reform. In dieselbe Richtung soll ein weiteres, am 1. Januar in Kraft getretenes Gesetz wirken, daß alle Betriebe verpflichtet ihre wichtigsten Wirtschaftsdaten zu veröffentlichen. Diese Daten galten bisher als streng geheim. Da aber die Veröffentlichungspflicht die den Betrieb betreffenden staatlichen Umverteilungsmaßnahmen nicht mit einschließt (wieviel Geld hat der Betrieb aus planwirtschaftlichen Mitteln erhalten?), ist die Bedeutung dieser „Offenheit“ nur sehr eingeschränkt. Für dieses Gesetz wie für die Bankreform gilt gleichermaßen: ihre Verwirklichung kann sehr verschieden ausfallen. Dabei werden Faktoren wie die inneren und äußeren Kräfteverhältnisse eine wesentliche Rolle spielen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen