USA: Kopfschütteln über „die Deutschen“

■ Die Reagan–Administration bezeichnet die jüngsten Entführungen im Libanon als „Kriegserklärung an die zivilisierte Welt“ und hält an ihrem Auslieferungsersuchen für den angeblichen TWA–Entführer Hamadeh fest / US–Medien fest im Griff der „Terrorismusexperten“

Aus Washington Stefan Schaaf

Verwirrung und Bitterkeit kennzeichneten die Haltung der Reagan–Administration am Montag angesichts der Entführung weiterer Ausländer im Libanon. Während das Außenministerium alle noch in jenem Land befindlichen US–Bürger zur Ausreise aufforderte, nannte Larry Speakes, der Sprecher des Weißen Hauses, die Verschleppungen und Morddrohungen eine „Kriegserklärung an die zivilisierte Welt“. Reagans Sprachrohr wollte auch militärische Optionen nicht ausschließen, ohne jedoch näher auf mögliche Schritte einzugehen. Die US–Administration, noch gebeutelt durch den Irangate–Skandal, bei dem es auch um die Befreiung von Geiseln im Libanon ging, schaltete jetzt auf stur und bekräftigte, man werde den Forderungen der Entführer nicht nachgeben. Nachdem am Samstag in der libanesischen Hauptstadt vier Professoren mit US–amerikanischer Nationalität oder -Wohnsitz vom Campus des „Beirut University College“ verschleppt worden waren, wurde in der Öffentlichkeit verstärkt über ein militärisches Eingreifen gegen die Entführer oder ihre vermuteten Hintermänner diskutiert. Aus dem Weißen Haus verlautete am Montag jedoch inoffiziell, es gebe „keine derartigen Planungen“. Der neue Schub der Terrorismus–Hysterie war durch die Festnahme Ali Hamadehs in der Bundesrepublik ausgelöst worden. Hamadeh wurde von den US–Behörden seit Juni 1985 wegen Beteiligung an der Entführung eines TWA–Flugzeugs nach Beirut mit Haftbefehl gesucht. Ein Sprecher des US–Justizministeriums hatte nach der Festnahme Hamadehs seine Auslieferung an die USAgefordert. Zuvor hatten die Behörden in der BRD jedoch verlangt, daß gegen Hamadeh nicht die Todesstrafe verhängt werde. Die USA reagierten darauf mit der Zusicherung, daß die Anklage diese nicht fordern werde - was allerdings den Richter, der die Strafe festlegt, in keiner Weise bindet. Der drängende Wunsch der US– Administration, zum ersten Mal in der Lage zu sein, einen arabischen „Terroristen“ vor ein amerikanisches Gericht zu stellen, blieb auch nach der Entführung zweier bundesdeutscher Männer in Beirut - offenbar eine Reaktion auf die Verhaftung Hamadehs - bestehen. Mit Verwunderung wiesen US–Korrespondentenberichte aus Bonn in den letzten Tagen immer wieder darauf hin, daß man in Bonn weniger hysterisch auf die Verschleppung zweier Staatsbürger reagiere, als man es aus Washington gewohnt sei, und daß Bonn offenbar bedacht sei, einen eigenständigen Weg aus dieser Krise zu finden. Das amerikanische Auslieferungsersuchen scheine jedenfalls für die Kohl– Genscher–Regierung nachgeordnete Priorität zu besitzen. Möglicherweise werde sich dies nach den Bundestagswahlen aber ändern. Nachdem jedoch am Wochenende drei US–Bürger in Beirut entführt worden waren, brach in Washington Krisenstimmung aus. Über die Fernsehschirme der Nation flimmerten die „Terrorismusexperten“, und die sonntagmorgendlichen Diskussionsrunden der großen TV–Gesellschaften änderten ihre Themenstellung: „Was tun?“ hieß die Frage, auf die Außenpolitik–Gurus wie Henry Kissinger oder der ehemalige NSC–Berater Michael Ledeen, Kontaktmann der Reagan– Administration nach Teheran zu Beginn des Iran–Deals, antworten sollten. Kissinger forderte einen knallharten Kurs: „Keine Verhandlungen und keine Kontakte mit Geiselnehmern“. Außerdem müsse mit „Vergeltung“ gedroht werden, falls deren Identität festgestellt werden könne. Dies dürfe nicht nur für die Entführer gelten, sondern auch für Staaten, die in derartige Aktionen verwickelt seien. Der Präsident müsse „vorsichtig, kaltblütig und unmißverständlich“ handeln Rätselraten um Aufenthalt von Terry Waite Beirut/London (afp/ap) - Spekulationen um das Schicksal des anglikanischen Geistlichen Terry Waite, der in den Geiselaffären im Libanon zu vermitteln versucht, bestimmten am Dienstag die Informationen über die Lage in Beirut. Der Emissär des Erzbischofs von Canterbury ist seit Dienstag vergangener Woche im moslemischen Westteil der libanesischen Hauptstadt verschwunden. Während es von einer Seite dazu heißt, er führe intensive Verhandlungen mit den Geiselnehmern, erklärten andere Gewährsleute, der Vermittler werde von seinen Gesprächspartnern festgehalten. Die Anglikanische Kirche ließ am Dienstag erstmals offen Sorge über das Schicksal ihres Vertreters erkennen. Der in Frankfurt verhaftete Libanese Hamadeh ist von drei US– Bürgern als der Chef des Hijacker– Kommandos identifiziert worden, das im Sommer 1985 eine TWA–Boeing nach Beirut entführte. Die drei Amerikaner gehörten zu den Insassen des Flugzeugs. Die Ex–Geiseln erkannten Hamadeh auf Fotos, die ihnen bei Interviews mit US–Fernsehgesellschaften gezeigt wurden. Alle drei US–Bürger erklärten sich bereit, vor Gericht als Zeugen auszusagen. Unterdessen wurde in Westbeirut bekannt, daß am Montag abend ein Saudiarabier namens Chaled Deeb in den südlichen Vororten entführt worden sei. Über die angebliche Verschleppung zweier „ausländisch aussehender“ Männer am gleichen Tag lagen zunächst keine weiteren Informationen vor.