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Die Linke kann nicht „amerikafeindlich“ sein

■ In einem Diskussionsbeitrag für die taz antwortet FR–Redakteur Anton–Andreas Guha auf Michael Fischers Beitrag zum Anti–Amerikanismus der bundesdeutschen Linken / Guha will die gefährliche Politik der USA mit Aufklärung und Vernunft statt mit Emotionen bekämpft wissen

In seinem Artikel „Zwischen Faszination und Ablehnung“ (taz vom 29.11.1986) liest Michael Fischer den Linken und speziell den Grünen die Leviten: Sie wagten es nicht, sich zu ihrem Anti–Amerikanismus zu bekennen (“Wahlkampf–Lüge“), versuchten billigerweise zu differenzieren (“nicht gegen Amerika, sondern gegen Reagan“), trügen darüber hinaus „offene oder versteckte Bewunderung“ zur Schau. Fischer greift tief in die (Trick–) Kiste der Dialektik: „Mit Abscheu bewundern“. Kommt dabei etwas heraus? Dialektik muß man - als Erkenntnismethode - streng handhaben, sonst landet man bei einem unklaren Einerseits–Andererseits, um nicht zu sagen bei einem Wischi–Waschi. Das Resümee der Fischerschen Philippika: Wegen ihrer unklaren Haltung habe es die Linke bislang versäumt, „mit den amerikanischen Anti–Amerikanern gemeinsame Sache zu machen und atlantikübergreifende Perspektiven für die Auseinandersetzung mit den im Nato–Block zusammengeschlossenen Rüstungs– und Betonfanatikern zu entwickeln“. Das ist in mehrfacher Hinsicht falsch! Zunächst einmal: Was ist „Anti–Amerikanismus“? Gemeint ist die strikte Ablehnung - die sich bis zum Haß steigern kann - all dessen, was sich in der konkreten Erfahrung mit den Vereinigten Staaten verbindet. Einen solchen emotional–undifferenzierten Anti–Amerikanismus gibt es tatsächlich, vorwiegend in Lateiname rika und in der Karibik. Ich selbst wäre einmal von mexikanischen Indios in der Provinz Sonora beinahe erschlagen worden, weil ich für einen „Gringo“ gehalten wurde. Aber dieser Anti–Amerikanismus ist verständlich! Viele Südamerikaner erleben die Vereinigten Staaten als eine gewalttätige Nation, die in diesem Jahrhundert rund 50 mal militärisch in ihrem „Hinterhof“ (Reagan: Vorgarten) intervenierte, Reformbewegungen im Ansatz stoppte (Jacob Arbenz, Augusto Cesar Sandino, Salvador Allende, Juan Bosch), für Putsche sorgte, mit blutrünstigen Diktaturen paktierte und im übrigen mit ihrer ökonomischen Allmacht und Allgegenwart den Kontinent ausplündert. Pars pro toto also, und dies ist begreiflich, ja sogar legitim, weil es jahrzehntelange, schmerzlich erfahrene Realität ist. Von den lateinamerikanischen Massen kann man kein differenziertes USA–Bild erwarten. Vernünftige Kritik an den USA Zweifeln, denken, differenzieren, dann erst urteilen, das ist Aufklärung, ist Vernunft. Der Aufklärung und Vernunft muß die Linke verpflichtet bleiben. Diese Tradition von Descartes, Locke, Hume, Kant, Marx und Freud muß sie fortsetzen, auch dann, wenn Freuds Hoffnung, „daß sich die leise Stimme der Vernunft am Ende durchsetzen wird“, trügen sollte. Auf unser Thema bezogen heißt dies, daß es einen Anti–Amerikanismus nicht geben kann, nicht nur deshalb, weil unsere Erfahrungen mit und unsere Informationen über die Vereinigten Staaten andere und differenziertere sind als etwa die der Südamerikaner. Natürlich sollte man Konstanten in der Politik der USA offen kritisieren und gegen sie ankämpfen, die unmenschlich, repressiv und gefährlich sind. Dazu gehört die Unterdrückung des südamerikanischen Kontinents und, seit 1945, die wachsende von ergebenen Verbündeten allerdings geförderte Anmaßung, in allen Teilen der Welt außerhalb des Ostblocks intervenieren zu können, wenn „amerikanische Interessen“ bedroht sind. Diese Interessen werden aber in Washington definiert, schon seit den Tagen der Präsidenten Roosevelt, Taft und Coolidge. „Weltmörderisch“ ist auch die Sowjetophobie innerhalb der US–amerikanischen Oligarchie, die bereits 1919 den Kreml als „ein von Ratten bevölkertes Tollhaus“ bezeichnete, das man „ausräuchern“ müsse. Der - aber keinesfalls ausschließlich - davon beeinflußte Rüstungswahn, die Koppelung handfester Rüstungsinteressen an diese Phobie und diesen Wahn, die unerträgliche Gewißheit, daß über Sein oder Nicht–Sein der Menschheit von einigen intellektuell eher bescheiden ausgestatteten Männern im Weißen Haus mitentschieden wird - die Linke kann und darf dazu nicht schweigen. Sie muß protestieren und argumentieren, denn außer Vernunft und Aufklärung, manifestiert im Protest, hat sie keine „Gegenwaffen“. Richtig ist auch, daß das politische und teilweise sogar gesellschaftliche System in den USA eher eine Oligarchie und eine „Monetokratie“ ist, denn eine wirklich parlamentarisch–repräsentative Demokratie. Es herrscht das große Geld und ohne Millionär zu sein, kann niemand Senator werden und kaum ins Repräsentantenhaus einziehen. Die Liste der Mängel - aus europäisch–linker Sicht - mag lang sein. Und dennoch: Viele dieser Mängel werden in den USA selbst gesehen und kritisiert. Soziale und gesellschaftliche Kritik manifestiert sich in der bildenden Kunst ebenso wie vor allem in der Literatur und in der Musik. Die Friedensbewegung hat einflußreiche Repräsentanten in allen Schichten, etwa die Farmer, darüber hinaus in Presse, Wissenschaft, dem Kongreß und in den Kirchen. Die Mittelamerika–Politik und teilweise auch die aggressive Krakenhaftigkeit der Transnationalen Konzerne in der Dritten Welt stößt auf vielfache Ablehnung. Diese vielfältige Opposition mag nicht stark genug sein, um die gefährlichen Tendenzen zu mildern oder umzukehren. Vielleicht verlieren wir sogar den Wettlauf mit der Zeit, durch echte Abrüstung den Frieden, ohne den alles nichts ist, zu sichern. Dennoch wäre ein undifferenzierter Anti– Amerikanismus innerhalb der europäischen Linken durch nichts gerechtfertigt und indiskutabel. Ich will gar nicht erst anfangen, einige Repräsentanten der zahllosen US–Amerikaner aufzuführen, deren Kultur und Humanität der Menschheit viel verdanken. Ohne die Mitwirkung von US–Amerikanern wird außerdem keines der aktuellen Probleme zu lösen sein. Im übrigen sollte Michael Fischer auch nicht den Eindruck aufkommen lassen, als wollte er die Tatsache abwerten, daß Millionen von Menschen in den Vereinigten Staaten Schutz vor Verfolgung, Folter und Hinrichtung fanden und - leider - immer noch finden. Das ist kein „Mythos“ und mehr als eine „Überlebensdroge“. Keine zentrale Leitung Noch ein Wort zur Zusammenarbeit der Friedensbewegung hier und dort: Ich halte sie nicht für nötig, sofern eine organisatorisch– institutionalisierte Form gemeint sein sollte. Die Friedensbewegung bezog ihre Stärke und wird ihre Stärke wiedergewinnen aus der Tatsache, daß der Friedens– und Überlebenswillen in den zah also eine zentrale Leitung. Sie lebt vielmehr von der Vielfalt und der dadurch ermöglichten Spontaneität und Kreativität. Eine lockere planende Institution ist allenfalls nötig bei der Organisation von überregionalen Aktionen und Demonstrationen, die wichtig waren und bleiben. Die Zusammenarbeit mit der Friedensbewegung in den USA stellt sich im übrigen auf vielfältige Weise her; ich erinnere nur an die Kongresse oder Fachtagungen der Naturwissenschaftler, Ärzte, Friedensforscher oder anderer berufsspezifischer Gruppen, die sich öffentlich zur Friedensbewegung bekennen. Innerhalb der Kirchen und teils auch der Gewerkschaften gibt es Kontakte. Vor allem aber findet ein Argumentationsaustausch und eine breite Diskussion in der Literatur statt, wenngleich, sofern ich es überblicke, mehr Bücher oder Schriften von US–Autoren im Deutschen bekannt sind als etwa umgekehrt. Seis drum! Die vorhandenen Austauschbrücken genügen, laßt die Friedensbewegungen in ihren jeweiligen Ländern wirken. Wenn sie scheitern oder Erfolg haben sollten - am Grad der organisierten Zusammenarbeit wird beides nicht liegen. Engagement für den Frieden, darüber hinaus für eine neue politische Kultur, läßt sich nicht mit organisatorischen Mitteln befördern, sondern nur durch Inspiration und Information, wohl auch durch das Beispiel. Das aber können wir durchaus bei uns leisten und die US–Amerikaner in den USA. (Anton–Andreas Guha ist Redakteur bei der Frankfurter Rundschau und Autor mehrerer Bücher, in denen er die Strategie der atomaren Abschreckung kritisiert, gleichzeitig aber auch die Unterschiede zwischen den rüstungspolitischen Interessen diesseits und jenseits des Atlantiks aufzeigt.)

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