Italien: Recherchen nach Meldung über 2.000 ermordete Soldaten

■ Fernsehen sammelt Indizien / Historiker und Andreotti verlangen Ermittlungen in der Ukraine

Aus Rom Werner Raith

Einigkeit schien zunächst zumindest bei Italiens Regierenden zu herrschen: Das Klima zwischen der Bundesrepublik und Italien soll möglichst nicht belastet werden, gleichgültig, ob etwas an der TASS–Meldung über mehr als 2.000 von Deutschen erschossenen italienischen Soldaten dran ist oder nicht. Das Außenministerium des Christdemokraten Andreotti beeilte sich mit der Feststellung, daß man schon vor zwei Jahren ergebnislos aufgrund ähnlicher Meldungen recherchiert habe. Das Verteidigungsministerium des Republikaners Spadolini erklärte, die von TASS genannten Namen von Offizieren nicht in den Listen der in Ostpolen bzw. der West– Ukraine stationierten Truppen finden zu können. Aus dem Amt des sozialistischen Ministerpräsidenten Craxi, dem einige histori sche Archive zugeordnet sind, verlautete, daß es die von den Sowjetagenturen genannte „Division Retrovo“ oder „Retrovo“ - deren Angehörige angeblich 1943 nach Italiens Kriegsaustritt von deutschem Militär oder der SS füsiliert worden sind - niemals gegeben habe. Selbst die Kommunisten, sonst bei vermuteten Kriegsverbrechen die ersten im Tribunal, hielten sich auffallend zurück. Inzwischen scheint sich die Lage jedoch zu ändern. Am Samstag und Sonntag haben mehrere italienische Fernsehprogramme sowohl Filmaufnahmen aus dem damaligen Frontabschnitt wie auch die Zeugenaussagen gesendet, auf die sich TASS stützt. Sachkundige Chronisten, die seinerzeit in der Gegend stationiert waren, verlangen neue Untersuchungen, zumal es bisher noch keine italienischen Ermittlungen direkt vor Ort gegeben habe. Die führenden Kriegshistoriker Revelli und Stern erklärten übereinstimmend, daß nach ihrer Kenntnis Erschießungen italienischer Soldaten dort vorgenommen wurden, wo ein Abtransport in die KZs nicht möglich war. Die Forscher haben auch eine Erklärung für den ominösen Divisions–Namen „Retrovo“: Es könne sich um einen Hör– oder Übermittlungsfehler handeln, denn „Divisione retrovia“ (Rückkehrdivision) hätten sich die kriegsverweigernden Soldaten nach Mussolinis Sturz selbst genannt. Nach Bekanntwerden dieser Vermutungen hat das Außenministerium die vorher eher routinemäßig geäußerte Bitte um genauere Informationen zu einer „dringlichen Anfrage“ ummontiert. In den nächsten Tagen soll eine Parlamentarierdelegation in die Sowjetunion fahren, um möglicherweise an Ort und Stelle zu recherchieren.