: I N T E R V I E W AKW muß stillgelegt werden
■ Fall Obrigheim nur noch mit dem Skandal der Hanauer Atomfabriken vergleichbar / Interview mit dem Frankfurter Anwalt und Atomrechtler Hans Neumann
taz: Herr Neumann, das AKW Obrigheim ist nie für den Dauerbetrieb genehmigt worden, welche juristischen Bedingungen hätten für eine solche Genehmigung erfüllt werden müssen? Hans Neumann: Alle Gerichte sind sich einig, daß es sich beim Atomgesetz um ein „Verbotsgesetz mit Erlaubnisvorbehalt“ handelt. Für jede Art von kerntechnischem Betrieb bzw. Veränderungen muß es also eine explizite Erlaubnis geben. Eine solche Genehmigung teilt sich in drei Abschnitte, den Genehmigungsausspruch, die dazugehörigen Unterlagen und die Auflagen. Schon ein unklarer Bescheid wäre rechtswidrig. Wie verhält sich das in Obrigheim? Dort ist der Ausspruch klar, nämlich die Genehmigung eines Probe– und Anlaufbetriebs, also den Testbetrieb bei Null–, Schwach– und Vollast. Die Genehmigung umfaßt nicht den Dauerbetrieb. Der Probebetrieb eines AKW erstreckt sich maximal auf drei Zyklen abgebrannter Brennelemente, also maximal auf drei Jahre. Welche Konsequenzen hätte ein Antrag auf Dauerbetrieb für die Betreiber gehabt? Die Erfahrungen aus dem Probebetrieb und die Untersuchungen des TÜV hätten erneut für eventuelle Einsprüche öffentlich gemacht werden müssen. Die Genehmigung selbst hätte dann im Bundesgesetzblatt und mindestens zwei regionalen Zeitungen veröffentlicht werden müssen. Damit wären natürlich auch eventuelle technische Mängel öffentlich bekannt geworden. Das mag auch das Motiv der Betreiber gewesen sein, keine Genehmigung für den Dauerbetrieb zu beantragen. Welche juristischen Folgen ergeben sich? Die Aufsichtbehörde, in diesem Fall das baden– württembergische Landwirtschaftsministerium, müßte nach § 19 Atomgesetz eine Stillegung der Anlage bewirken. Eine Stillegungsklage kann aber auch jeder Bürger beantragen, denn der Dauerbetrieb wäre in diesem Fall ein Gesetzesverstoß. Hat der Betrieb des AKW Obrigheim ohne Dauerbetriebsgenehmigung auch strafrechtliche Relevanz? Nach § 327 StGB kann der Betreiber einer nichtgenehmigten Atomanlage ebenso wie die zuständigen Genehmigungsbehörden wegen Beihilfe geahndet werden. Gibt es vergleichbare Fälle in der BRD? Nein! Ungefähr vergleichbar ist höchstens der Skandal um die „Genehmigungsabsprachen“ zwischen den hessischen Nuklearbetrieben NUKEM und ALKEM und der hessischen Landesregierung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen