: Per Cassetten–Programm zum Beziehungsglück
■ Mit unterschwellig wirkenden Cassettenprogrammen verspricht eine Berliner Firma Selbstvertrauen, Konzentration und Kreativität
Aus Berlin Imma Harms
„Ich bin wichtig - ich lasse los - ich atme tief - ich fühle mich leicht und locker - ich schaffe es...“ Man muß es Willi Dieterle schon glauben, daß man diese Worte soeben gehört hat. Sie sind nämlich, nicht direkt hörbar, eingebettet in ohrenfreundliche Instrumentalmusik. Ich spüre keine Wirkung, fühle mich weiter ein wenig gestreßt und atme flach. Das ist kein Wunder, denn die Wirksamkeit der TUBUS–Cassetten (Technik unterschwelliger Beeinflussung und Selbstkontrolle) erfordert eine gewisse Beharrlichkeit: „Spielen Sie diese Cassette einen Monat lang regelmäßig, um nachhaltig positive Ergebnisse zu erzielen,“ wird auf dem Cassetten–Cover empfohlen. Dr. Willi Dieterle ist der pädagogische Berater der Berliner Firma Gantec, die mit ihren Subliminal–, sprich unterschwellig wirkenden Cassetten auf den Markt der gestreßten, verängstigten und beziehungsunfähigen modernen Großstadtmenschen drängt. „Unser Unterbewußtsein ist über Jahrzehnte durch Sinneseindrücke geprägt, gewissermaßen codiert“, erläuterte Dieterle. „Unsere Cassetten bewirken eine Decodierung dadurch, daß selbstbestimmte Impulse, die man sich mit der Cassetten–Musik zuführt, im Unterbewußtsein verankert werden.“ Das Prinzip funktioniert so verblüffend wie gefährlich einfach: Den sanften Klängen von „Let it be“ sind versteckte Botschaften aufmoduliert, die „nach dem Überredungsprinzip“, wie die Firmenvertreter sagen, gebetsmühlenartig wiederholt werden. Sogenannte Ich–Botschaften, mit denen sich der Adressat quasi selbst zu überzeugen hat. Eine andere Variante der Subliminal– Cassetten arbeitet mit Du–Botschaften: „Du beruhigst dich - du bist ganz friedlich...“ „Dabei wird das Eltern–Ich dem Adressaten gegenüber ins Spiel gebracht“, erklärt Dieterle. Das aber lehnen das Gantec–Team und seine Berater ab. Sie wollen streng selbstbestimmt und darüber hinaus wissenschaftlich vorgehen. Neben Herrn Dieterle dient deshalb der Psychiater Peseschkian, Vorsitzender der „Deutschen Gesellschaft für positive Psychiatrie“, dem Unternehmen als Berater. Er hat die Aufgabe, neueste psychotherapeutische Erkenntnisse in das Produktionsprogramm der Firma einzuarbeiten. Zunächst will man fünf verschiedene „Bausteine zum Erfolg“, über den Buchhandel vor al lem, vermarkten: Selbstvertrauen, Konzentration, Kreativität, Anti–Streß und erfolgreiche Beziehungen. Auch Spezialaufträge für individuell zugeschnittene Motivierungsprogramme werden entgegengenommen. „Ein Manager hat zum Beispiel ein Spezialprogramm für seine persönliche Karriere–Planung bei uns bestellt“, berichtet Dieterle. Er läßt keinen Zweifel an der Wirksamkeit der sublimen Beeinflussungsmethode aufkommen. In einem Versuch in den USA sei einem einfachen Rauschen auf dem Tonband eine unhörbare dreistellige Zahl unterlegt worden. 89 Prozent der Versuchspersonen hätten sie später richtig nennen können, führt er an. Hautwiderstand, EEG–Werte (Hirnstrommessung) und andere physiologische Größen seien nach Subliminal–Berieselung meßbar verändert. In den USA wird das Verfahren bereits breit eingesetzt. Nach Dieterles Schätzung sind dort etwa 500.000 solcher Cassetten im Umlauf. Unter Vermarktungsinteressen besonders interessant wird das Verfahren, wenn man nicht sich selbst, sondern andere auf diese Weise zu beeinflussen versucht. Der Renner in USA–Warenhausketten: Anti–Diebstahl–Botschaften, in seichter Kaufhausmusik versteckt. Sie weisen den auf eine Gelegenheit lauernden, zwischen den Regalen umherstreichenden Täter auf die Folgen seiner Handlung hin. Hilfsweise reden sie ihm ein, daß er ein toller Kerl ist, auch ohne zu klauen. Denn ein großer Teil von Diebstählen ist angeblich durch Minderwertigkeitsgefühle verursacht. Auch Gantec hat inzwischen ein deutschsprachiges Anti–Diebstahl–Programm entwickelt. Die Firma steht mit verschiedenen Kaufhausketten in Verhandlung über den Einsatz. Gantec will sich allerdings nicht darauf einlassen, daß die Kaufhauskunden hinterrücks dieser Moraldusche ausgesetzt werden. Der Hinweis für die Kunden, daß die Verkaufsräume tiefenpsychologisch überwacht werden, ist die Voraussetzung für einen Vertragsabschluß. In den USA ist auch die Kindererziehung bereits als Einsatzmöglichkeit erschlossen. Es gibt zum Beispiel Einschlaf– und Anti–Bettnäß–Programme. Gantec arbeitet derzeit an Risiko–Programmen, wie Anti– Rauch, -Sauf– und Freß–Cassetten, - vor allem für Manager. Denkbar wäre auch musikalische Berieselung von Großraum–Büros, vermischt mit leistungssteigernden Parolen. Spätestens hier werden sich Probleme ergeben, die auch beim Kaufhauseinsatz schon entstehen könnten und für die sich die Firma eigens den Hausjuristen Eike Winckler hält. „Hier müßte natürlich der Betriebsrat einbezogen werden“, meint Winckler, „die Texte der Botschaften müßten von ihm akzeptiert werden.“ Darüber hinaus sieht der Justitiar kommenden Urteilen über den Einsatz von Subliminal–Cassetten gelassen entgegen. Der einzige rechtliche Rahmen ist bisher das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb.“ Das bedeutet, daß mit der Methode keine Produktwerbung betrieben werden darf. Ansonsten seien Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes zu beachten, die Würde und Freiheit des einzelnen Menschen schützen. Doch das sei gewährleistet, wenn die potentielle Zielgruppe über den Einsatz der Musik–Botschaften aufgeklärt und die Freiwilligkeit gesichert sei. Über die Freiwilligkeit - in den USA werden bereits Strafgefangene Subliminal–Experimenten ausgesetzt - kann man dabei durchaus geteilter Meinung sein. Es fehlt eine Anti–Beeinflussungs–Cassette im Firmenprogramm, die, vielleicht eingebettet in den Pink–Floyd–Song „We dont need no education..“, gegen ungewollte Einflüsterungen stählt: „Ich will mich nicht beeinflussen lassen - ich will mich weder von meinen Überzeugungen noch von meinen Vorsätzen abbringen lassen...“
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