Das Ende der Dachlatte

■ Börner verzichtet auf Parteiamt und Spitzenkandidatur / Krollmann als Nachfolger / Neuwahlen am 5. April

Kaum hatte Hessens Ministerpräsident Börner den grünen Umweltminister gefeuert, warf er selbst das Handtuch. Gestern erklärte der ehemalige Betonfacharbeiter und Schmied der ersten rot–grünen Koalition seinen Verz Grünen zollten „dem Dicken“ Respekt.

Wiesbaden (taz) - Gestern überschlugen sich im hessischen Landtag und in der Staatskanzlei - „Villa Dachlatte“ - die Ereignisse. Sah es am Montag noch danach aus, daß der bisherige Ministerpräsident Holger Börner (SPD) mit seinem Rausschmiß von Umweltminister Joschka Fischer das Heft wieder fest an sich reißen würde, so mußte am Dienstag Gegenteiliges konstatiert werden. Ein geschlagener, leichenblasser Börner verkündete der versammelten Landtagspresse gegen 11 Uhr seinen Rücktritt vom Amt des Parteivorsitzenden der hessischen SPD. Ausdrücklich wies Börner auch darauf hin, daß er für die kommende Legislaturperiode nicht mehr als Ministerpräsident zur Verfügung stehen werde. Nach einer dramatischen Sitzung des SPD–Parteivorstandes in den Morgenstunden war bei der SPD die Entscheidung gefallen. Überraschend auch, daß Börner sich jetzt für „sofortige Neuwahlen“ aussprach. Parlamentsauflösung und doch keine Vertrauensfrage - dies ist das Resultat der Auseinandersetzung innerhalb der Führungsspitze der hessischen SPD, die bereits am Abend vor Börners Abgang mit einer Krisensitzung des SPD–Bezirksvor standes Hessen–Süd eingeleitet wurden. Willi Görlach, Heidi Wieczorek–Zeul, Armin Clauss und Genossen entschieden, den Parteitag Hessen–Süd vorzuverlegen. Dort wird ein mehrheitsfähiger Antrag des Vorstandes vorliegen, der die Landesregierung definitiv auffordert, ALKEM nicht zu genehmigen. Dazu kam, daß sich der Vorstand Hessen–Süd von der „einsamen Entscheidung“ Holger Börners, den Minister Fischer zu entlassen, extrem düpiert fühlte. Landwirtschaftsminister Görlach zum Beispiel erfuhr von der Demission Fischers nur über den Umweg über Bonn. Entsprechend muß die Diskussion im Landesvorstand der Partei verlaufen sein. Als dann gegen 10 Uhr die gemeinsame Sitzung von Landesvorstand und Landtagsfraktion auf dem Konferenzplan der Sozialdemokraten stand, war hinter den verschlossenen Türen in der Rossertstraße, der Dienstwohnung Börners, die Entscheidung bereits gefallen: Börner warf das Handtuch. Dem Vorstand der Hessen– SPD erschien ein Weiterschleppen der verworrenen Situation wenig ratsam. Der nur einen Tag zuvor in der Staatskanzlei entworfene Plan, über das Stellen der Vertrauensfrage noch einmal mit dem ehemals „starken Holger“ in den Hessenwahlkampf ziehen zu können, war auf den Widerstand der Genossen gestoßen, die selbst stundenlang über Sinn und Zweck diverser Aktionen der Staatskanzlei rätselten. Eine „klare Linie“ mußte her. Dabei klang es durchaus glaubwürdig, als Holger Börner dann - im gleißenden Licht unzähliger Scheinwerfer - seinen Rücktritt als Parteivorsitzender mit seiner angeschlagenen Gesundheit begründete. Daß Börner die Ereignisse der letzten Tage mehr als nur mitgenommen haben, war dem Ministerpräsidenten anzusehen. Börner soll bereits bei der Übergabe der Demissionsurkunde an Fischer mit den Tränen gekämpft haben. Auf der dann um 13 Uhr stattfindenden SPD–Pressekonferenz mit Krollmann und dem Fraktionsvorsitzenden Ernst Weltecke kündigte die SPD–Spitze Neuwahlen in Hessen für den 5. April 87 an. Die SPD–Landtagsfraktion werde am 17.2. in der Plenarsitzung für einen der vorliegenden Auflösungsanträge stimmen. In Sachen ALKEM erklärte der Ministerpräsidentenkandidat demonstrativ, daß er an der auch von Börner vertretenen Position festzuhalten gedenke: „Ich habe keinen Grund, mich von Steger zu distanzieren.“ SPD und Grüne mußten lernen, daß es Unterschiede zwischen einem politischen Programm und den Möglichkeiten der Durchsetzung eines solchen Programms gebe. In der Frage der ALKEM– Genehmigung habe einmal die Bundesregierung, respektive Walter Wallmann das letzte Wort. Krollmann kündigte erneut den Gang nach Karlsruhe auf der Grundlage der Steger–Entscheidung an. Der Landesvorstand der hessischen SPD hatte Börners Rücktritt und die Inthronisierung Krollmanns mit dem Abstimmungsergebnis 13:1 Stimmen gebilligt, wobei Krollmann betonte, daß die eine Gegenstimme nicht von ihm gewesen sei. In der Landtagsfraktion selbst wurde nicht abgestimmt. Stehende Ovationen für Börner, der „in schwieriger Zeit“ für die SPD seine Pflicht übererfüllt habe, hätten allerdings signalisiert, daß auch die Fraktion „voll“ hinter der Entscheidung des Landesvorstandes stehe, meinte Weltecke abschließend.