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Sikh–Priester üben religiöse Rache

■ Der Ministerpräsident des indischen Punjab wurde exkommuniziert, weil er nicht auf Weisung radikaler religiöser Oberhäupter zurücktreten wollte / Als „Verräter am Glauben“ aus der Religionsgemeinschaft ausgestoßen / Höhepunkt im wochenlangen Machtkampf

Neu Delhi (dpa/ap/ips) - Nach wochenlangem Tauziehen haben die fünf höchsten Geistlichen der indischen Glaubensgemeinschaft der Sikhs am Mittwoch den Ministerpräsidenten des mehrheitlich von Sikhs bewohnten Bundesstaates Punjab, Surjit Singh Barnala, exkommuniziert. In Amritsar, der heiligen Stadt der Sikhs, gaben sie bekannt, der Regierungschef sei als Verräter am Glauben aus der Religionsgemeinschaft ausgesto ßen worden. Der als gemäßigt geltende Barnala, der im Konflikt zwischen radikalen Sikhs und der Zentralregierung auf Kooperation mit Delhi setzt, hatte sich in den vergangenen Tagen geweigert, auf Anweisung der Priester zurückzutreten und war am Mittwoch auch nicht zu einer für diesen Tag angesetzten Bestrafung im Tempel erschienen. Damit hat ein seit mehreren Wochen schwelender Macht kampf seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Der fundamentalistische Oberpriester des Goldenen Tempels in Amritsar, Darshan Singh Ragi, hatte in letzter Zeit mehrfach versucht, die Legitimität der Landesregierung in Frage zu stellen, indem er selbst Gesetze und Anordnungen erließ. Am vergangenen Wochenende hatten dann die fünf höchsten Priester der Sikhs alle Sikh–Politiker des Punjab aufgefordert, auf ihre Ämter zu verzichten und in eine von ihnen propagierte „Geeinte Akali Dal– Partei“ einzutreten. Fast alle radikalen Sikh–Politiker, die für einen separaten Staat Khalistan eintreten, waren der Aufforderung gefolgt, Barnala hatte sich jedoch mit Rückendeckung des Parlaments und der Zentralregierung geweigert. Die daraufhin von den Religionsführern verhängten Strafen umfassen neben der Exkommunizierung auch einen sogenannten Brotbann: Kein Sikh darf mit dem Geächteten essen, in die Familie einheiraten oder andere soziale Kontakte unterhalten. Barnala verurteilte seinen Ausschluß am Donnerstag als einseitig und ließ sich von Parteianhängern vor seinem Haus als „Sikh– Bruder und Führer“ feiern. Am 20.Februar soll eine allgemeine Sikhversammlung der Partei über die Handlungsweise der Priester richten. In den Medien entbrannte unterdessen bereits eine heftige Debatte, ob die Exkommunikation nach Sikh–Gesetz überhaupt gültig sei.Moderate Sikhs beschuldigten die Radikalen in ganzseitigen Zeitungsanzeigen, das Sikh–Ethos verletzt zu haben. Der hohe Priester in Patna, einem der wichtigsten Sikh–Heiligtümer in Ostindien, verwies darauf, daß er bei der Entscheidung hätte konsultiert werden müssen, was die Priester aus Amritsar jedoch nicht getan hätten. Die Exkommunizierung ist nach diesen Regeln ungültig. Beobachter allerdings befürchten, daß die Mehrheit der auf rund elf Millionen geschätzten Sikh–Bevölkerung im Punjab solche Unterscheidungen nicht macht. Die meisten Sikhs auf dem Lande sind Analphabeten, orthodox–gläubig. Sie fürchten den „Fuenferrat“, die Sikh–Päpste, gleich, welche Entscheidungen sie treffen. Und jene Sikhs, die hinter dem Ministerprädidenten stehen, wagen - zumindest bisher - nicht, offen gegen die skrupellosen Extremisten aufzutreten, die in den vergangenen Wochen bereits über 100 Menschen, darunter viele Frauen und sogar Kinder, ermordeten. Wie stark die Zustimmung für den exkommunizierten Barnala im Punjab wirklich ist, wird deshalb auch die von der Regierung für den 20. Februar in dem Dörfchen Longowal einberufene Generalversammlung der Sikhs kaum beweisen. Unzählige Sikhs werden aus Angst vor dem Terror der Sikh–Extremisten der Abstimmung fernbleiben.

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