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Die Atomlobby darf prüfen

■ Rau–Regierung läßt Atomanlagen von Atombefürwortern untersuchen Statt Gutachten erhalten die Behörden ein „Feeling für den Stand des Projektes“

Aus Bochum Petra Bornhöft

Schon acht Monate nach dem Beschluß des nordrhein–westfälischen Landtages, die Atomanlagen in Würgassen, Hamm, Jülich und Gronau zu überprüfen, treten erhebliche Ungereimtheiten auf. So wird von Kritikern besonders bemängelt, daß sich unter den ausgesuchten Gutachtern kein Atomkraft–kritischer Wissenschaftler befindet. Die von NRW– Wirtschaftsminister Jochimsen (SPD) als Generalunternehmer beauftragte „Elektrowatt Ingenieurunternehmung“ (EWI) hatte als Subgutachter fünf Wissenschaftler unter Vertrag genommen - alles bekannte Atom–Lobbyisten. Zudem wird ein erstes Gutachten - entgegen der Ankündigung von Jochimsen - erst im August von der EWI vorgelegt werden. In den betroffenen Atomanlagen ist man über die ursprünglich für März avisierte „sicherheitstechnische Bewertung des Ist–Zustandes“ unterschiedlich informiert. In der Kernforschungsanlage Jülich „werden Vorgespräche geführt“. Beim Betreiber des AKW Würgassen, der Preussag, bestehen keine Kenntnisse über das Projekt, da „Elektrowatt ohne unsere Mitwirkung arbeitet“. Für die THTR–Inspektion kennen dessen Betreiber, die VEW, keine Termine, „aber wir stehen Gewehr bei Fuß“. Nur in der Urananreicherungsanlage Gronau „läuft es“, so ein Sprecher, „die Techniker sitzen mit unseren Leuten zusammen“. Resümee des EWI–Geschäftsführers Berners: „Wir haben das Projekt geortet.“ Fortsetzung auf Seite 2 Kommentar auf Seite 4 In Kürze erhalte das Ministerium einen „Statusbericht über Planung und Ablauf, damit die Behörde ein Feeling für den Stand des Projektes bekommt“. Als Erklärung für den schleppenden Fortschritt der Arbeit fügt Berners hinzu: „Die Anforderungen sind hoch. Als anerkanntermaßen neutrales Unternehmen fühlen wir uns der Seriosität verpflichtet.“ Neutral ist an diesem Unternehmen höchstens die Farbe des kiloweise gewälzten Papiers. Die taz berichtete bereits über AKW–Beteiligungen und das Atom–Exportgeschäft der Zürcher Elektrowatt AG. Auch die hundertprozentige Tochterfirma EWI ist in der Bundesrepublik bekannt. Zu den Aufgaben der 600 Beschäftigten zählen nach offiziellen Angaben: „Ingenieurleistungen für Kernkraftwerke und andere kerntechnische Anlagen sowie Zwischen– und Endlager radioaktiver Abfälle“. Dienstleistungen für die Atomindustrie reichen von Beratung über Gutachtertätigkeit, Durchführbarkeits– und Standortstudien, Projekt– und Bauleitung bis zum „Brennstoffmanagment“. Seit geraumer Zeit florierte das Gutachtergeschäft nicht mehr. „Wir waren in Biblis, Gorleben, Kalkar und Ahaus beschäftigt“, erinnert sich ein früherer Mitarbeiter, „aber seit Ende der 70er Jahre hagelte es in den Genehmigungsverfahren Einsprüche von Gegnern wegen Befangenheit des Unternehmens. Die Aufträge gingen empfindlich zurück.“ Da kam der NRW–Auftrag mit einem Volumen um zehn Mio. DM nicht ungelegen. Ministerpräsident Rau begründete diese Woche in der SPD–Landtagsfraktion noch einmal, daß EWI den Zuschlag erhalten habe, damit die Bundesregierung das Gutachten im Sinne des Atomgesetzes anerkenne. Sogenannte „Ertüchtigungsmaßnahmen“ für Atomanlagen müssen den Behörden von unabhängigen Gutachtern mit angemessenem Sachverstand vorgeschlagen werden. Zu diesem Kreis zählen die Behörden seit Jahren die EWI. Das gilt auch für die von der EWI als Subgutachter verpflichteten Technischen Überwachungsvereine (TÜV) West, Hannover und Rheinland. Darüber hinaus sind die Ingenieurbüros Zerna und Bonnenberg mit von der Partie, beides nach Meinung von Insidern „etablierte Handlanger des TÜV“ und aus Genehmigungsverfahren als stramme AKW–Befürworter bekannt. Die von Minister Jochimsen angekündigte Beteiligung von „kri tischem Sachverstand“ der Atomkraftgegner entpuppte sich bisher bestenfalls als frommer Wunsch. Prof. Dr. Jochen Benecke aus München, früherer Projektleiter einer Gegenstudie zu Kalkar, „bedankte“ sich bei der taz für den Hinweis, daß die EWI ihn in den Kreis der Gutachter aufnehmen solle. Benecke wörtlich: „Da ist im Dezember in einem Anruf aus Düsseldorf mal sowas avisiert worden, danach kam nichts mehr. Ein Schreiben habe ich nicht erhalten.“ Auch das Darmstädter Öko– Institut, dessen Reaktorsicherheitsexperten als profilierteste Kritiker des AKW Würgassen und des THTR gelten, weiß von nichts.

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