: Aus der Türkei führt selten ein Weg heraus
■ Rund 500.000 Iraner warten in der Türkei darauf, in anderen Staaten politisches Asyl zu erhalten / Einreisevisa in die BRD, Voraussetzung für ein Asylverfahren, werden von den bundesdeutschen Konsulaten nur selten vergeben
Aus Istanbul Kurt Ullusch
Das alte Haus oberhalb des Bosporus im Istanbuler Vorort Sariyer gehört eigentlich zu den besseren Adressen der türkischen Millionenstadt, und aus den Fenstern im oberen Stockwerk hat man normalerweise einen herrlichen Überblick über den Bosporus. Da den jetzigen Bewohnern, sechs Männern und zwei Frauen aus dem Iran, jedoch mehr an Diskretion als an einer schönen Aussicht liegt, haben sie die Fenster verhängt. Nur nachts verlassen sie die Wohnung, um etwas Luft zu schnappen. Die acht Menschen gehören zu den rund 500.000 iranischen Flüchtlingen, die sich zur Zeit in der Türkei aufhalten. Ein großer Teil von ihnen besitzt keine Papiere und lebt deshalb in ständiger Angst vor der türkischen Polizei, die sie, so sagen jedenfalls die Flüchtlinge, sofort in den Iran abschieben würde, wenn sie sie erwischt. Ihre einzige Hoffnung ist, Aufnahme in die USA, Kanada oder einem westeuropäischen Land zu finden. Entsprechend erwartungsvoll richten sich die Blicke der acht aus dem alten Haus am Bosporus auf ihre deutschen Besucher. Doch der Bundestagsabgeordnete der Grünen, Christian Ströbele, kann ihnen nicht viel Hoffnung machen. Seit die Bundesregierung sich mit der DDR im September letzten Jahres darauf geeinigt hat, daß auch die DDR Transitvisa nur noch ausstellt, wenn die Flüchtlinge ein Visa für die Bundesrepublik vorweisen können, ist die Grenze dicht. Die Folgen dieser Absprache sind nun in Istanbul, Ankara und anderen türkischen Städten zu besichtigen. Hauptumschlagplatz für iranische Flüchtlinge ist der zentrale Istanbuler Bezirk Aksaray. Hier sollen die meisten Flüchtlinge untergekommen sein, hier ist auch der Schwarzmarkt für falsche Papiere, Pässe und Visa. Doch der größte Teil der Flüchtlinge kann die rund 3.000 Dollar nicht aufbringen, die die Schwarzhändler für einen Paß mit Visa verlangen. Sie halten sich mühsam mit finanzieller Unterstützung von Freunden oder Familienmitgliedern aus dem Ausland über Wasser. Immer wieder hat Ströbele, der sich seit einer Woche in der Türkei aufhält, in diesen Tagen ähnliche Leidensgeschichten gehört. „Alle, mit denen ich hier gesprochen habe“, sagt der Abgeordnete, „sind Bilderbuchfälle für das deutsche Asylrecht.“ Ihre politische Verfolgung im Iran ist offensichtlich, etliche saßen bereits in iranischen Gefängnissen, andere konnten sich einer bevorstehenden Verhaftung nur durch die Flucht in die Türkei entziehen. Doch obwohl ihre Chancen, in der Bundesrepublik als politische Flüchtlinge anerkannt zu werden, groß wären (im letzten Jahr wurden 80 Prozent der iranischen Flüchtlinge als Asylsuchende anerkannt), nützt ihnen das überhaupt nichts, wenn sie die bundesdeutschen Grenzen nicht erreichen. Und eine Einreiseerlaubnis in die BRD durch den deutschen Generalkonsul in Istanbul wird nur selten erteilt. „Das stimmt nicht“, behauptet man dort. Iraner, die sich dem Konsulat gegenüber als politisch Verfolgte zu erkennen geben, könnten in die BRD einreisen, wenn die Ausländerpolizei des Ortes, den der Flüchtling als Zielort angibt, zustimme und wenn das Bundesinnenministerium eine sogenannte Übernahmeerklärung ausstelle. Auf die Frage, wievielen Flüchtlingen auf diesem Weg im letzten Jahr die Einreise in die Bundesrepublik gelungen sei, klärt uns der herbeizitierte Leiter der Visa–Abteilung auf: „Vier Anträge sind positiv beschieden worden.“ Später erfahren wir in der deutschen Botschaft in Ankara, daß von dort im letzten Jahr ganze zwei Einreisen von iranischen Flüchtlingen in die BRD gemanagt worden sind. „Das liegt daran“, so der Leiter der Rechtsabteilung, Herr Kerr, „daß kaum iranische Flüchtlinge zu uns kommen.“ „Warum geht ihr nicht zur deutschen Botschaft und stellt dort einen Visa–Antrag?“ will Ströbele denn auch von seinen iranischen Gesprächspartnern wissen. „Keine Chance“, sagt ein Iraner und ein anderer, der es trotzdem versucht hat, erzählt: „Als ich zur Botschaft kam, mußte ich meine Papiere erst einmal einem türkischen Polizisten zeigen. Danach wartete ich stundenlang in einer langen Schlange. Als der Beamte am Schalter dann meinen iranischen Paß sah, sagte er nur, für mich sei die deutsche Botschaft in Teheran zuständig.“ Solche Erfahrungen sprechen sich herum, die Abschreckung funktioniert. Statt dessen wenden sich die meisten Flüchtlinge lieber an den Vertreter des hohen Flüchtlingskommissars in Ankara, UNHCR. Dort erhalten sie zumindest ein Papier, das ihnen einen minimalen Schutz vor der Abschiebung in den Iran bietet und ihnen die wage Hoffnung läßt, im Rahmen einer Kontingentlösung Aufnahme in einem anderen Land zu finden. So lange sitzen sie dann in ihren Verstecken und hoffen sowohl den in der Türkei zahlreich vertretenen Häschern Khomeinis als auch der türkischen Polizei zu entkommen. Offiziell behauptet die Regierung in Ankara zwar, niemand würde zurückgeschickt. Die Betroffenen erzählen ganz andere Geschichten. So sollen Abschiebungen im Grenzgebiet gang und gäbe sein,und wer kein Geld für Bestechung hat, kommt kaum bis Istanbul durch. Entsprechend verängstigt sind die Menschen. „Woher soll ich wissen, daß ich euch trauen kann“, sagt einer in dem Haus am Bosporus, „vielleicht gerät mein Name in die falschen Hände.“ Für diejenigen, die dennoch etwas erzählen wollen, hält der Abgeordnete Ströbele einen kleinen Trost bereit. Er will in ihrer Abwesenheit für sie in der BRD einen Asylantrag stellen, denn: „Wo steht denn im Grundgesetz, daß ein Flüchtling in der BRD sein muß, um einen Asylantrag zu stellen?“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen