: Tourismusbörse: Gnadenlose Reiselust
■ In der bunten Flitterwelt der Berliner Messehallen mit Tanga–Mädchen, Samba–Rhythmen und schwülstig–schwüler Dschungel–Atmosphäre haben die Tourismus–Kritiker nur eine blasse Alibifunktion / Eine Diskussion ohne Biß
Von Edith Kresta
Berlin (taz) - „Da kannste Tittis sehn und Popos wackeln schön“, meint der jungdynamische Fachbesucher zu der männlichen Begleitung im Schlepptau. Genau diese Assoziation drängt sich beim Betreten des jenes Tunnelsystems auf, das sich Brasilien zur Präsentation auf der Internationalen Tourismusbörse (ITB) einfallen ließ. Schwülstig schwüle Dschungelatmosphäre, ein wild umwucherter Pfad führt am Wahrzeichen Rios, dem Concovardo, vorbei, ein lianenverhängter Jeep verheißt Freiheit und Abenteuer, gedeckte Tische, weißgekleidete Bahia–Frauen, heiße Tanga–Mädchen auf Motorrädern, im Hintergrund süßes Vogelgezwitscher. Samba–Rhythmen gehen in den Bauch. Suggestion par excellence. Brasilien - absolut scharf. Augen und Ohren der Messebesucher gehören den Brasilianern. Tourismus mit Einsicht In dieser bunten Flitterwelt zieht die kleine, aber feine versammelte Schar der Tourismuskritiker kaum Aufmerksamkeit auf sich. Mit einem Stand unter dem neuen, alten Motto „Tourismus mit Einsicht“ fordern Gruppen aus dem entwicklungspolitischen, jugendpolitischen und kirchlichen Bereich zur Besinnung im besinnungslosen Hahrmarkt der Reisewünsche auf. Sie wollen „Einsicht in die Strukturen des Tourismus vermittelen“, so Christel Burghoff von der Gruppe Neues Reisen. „Sensibilisieren für ökonomische, soziale und ökologische Probleme, die die Reiselust mit sich bringt.“ Ein Kabarett, „Paradies pauschal“, karikiert den unverfälschten Pauschaltouristen. Schaukästen, beispielweise eine Rose hinter Stacheldraht, unter der Devise „Genießen Sie ihren Urlaub im Paradies“, bringt etwas Realität in die sonnige Scheinwelt. Dieser notwendige Stachel im Fleisch des feisten touristischen Kommerz tut kaum weh. Der Stand ist zu bieder, um zu provozieren oder überhaupt aufzufallen. Die Kritikansätze bleiben oft zu moralisch belehrend. Der Veranstalter AMK (Ausstellungs– Messe–Kongreß–Gesellschaft) hat ein liberales Aushängeschild, die Medien ein gefundenes Fressen: was böte sich auch sonst an Reibungspunkten bei der alle Jahre wiederkehrenden ITB. Auflage der AMK für die großzügig gewährte Teilnahme kritischer Gruppen an der Messe ist politische Enthaltsamkeit. Sie hat genug Ärger mit den Aktionen der Südafrika–Boykott–Gruppe. Mit schwarz verschleierten Gesichtern und Plakaten, die an den Tod von Schwarzen unter dem Apartheidregime erinnern, blockieren sie den sinnigerweise schwarz– weiß gestylten Südafrika–Stand. Um den Stand zu schützen, gruppiert sich hinter den schwarz gekleideten, stumm protestierenden Frauen und Männern fast schon pittoresk jeweils ein Polizist. Nach mehrfachen Drohungen der AMK, von ihrem Hausrecht Gebrauch zu machen, ziehen die Frauen und Männer ab. Häufigste Reaktion der Messe–Besucher: „Komm schnell weg hier, Ernst.“ Vertane Chance Eine politische Veranstaltung der Gruppe Neues Reisen hat sich auch ins Rahmenprogramm geschlichen: „Sonne, Sand und Diktaturen.“ Die versammelte Medienprominenz und solche, die es sowieso schon wissen, füllen den Raum. Vertreter der Südafrika– Boykott–Gruppe, der Gesellschaft für bedrohte Völker, von Amnesty International und der Tamilenorganisation EELAM stellen das Podium. Kein Veranstalter für Südafrika– oder Türkei–Reisen, kein journalistischer Werbeträger stört den homogenen Kreis. Der Diskussion fehlt die Reibungsfläche. Sie ist schlicht vertan. Pfarrer Kraatz von der Südafrika–Boykott–Gruppe, der selbst fünf Jahre in Südafrika gelebt hat und auch die Gefängnisse von innen kennt, bringt das Thema auf den Punkt. Tourismus als wesentlicher Wirtschaftsfaktor Südafrikas komme einzig den Weißen zugute. Der weiße Tourist koste die Bedingungen der Apartheid aus und erlebe nur das weiße Südafrika. Dieses garantiere beispielsweise mit Luxus–Safaris ein Stück Herrenleben, dem auch der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß gern und häufig dort fröne. Das Apartheidregime erscheine den arrogant auftretenden Touristen schon „ganz richtig so“, denn die Sicherheit, die es den Schwarzen verwehre, garantiere es den Weißen. Pfarrer Kraatz plädiert für Tourismusboykott. Und überhaupt, ergänzte er, nunmehr als Pfarrer sprechend, dürfe man in der ausweglosen Tourismusdiskussion die Frage, wie sieht eigentlich unsere Arbeits– und Alltagswelt aus, die das hemmungslose Reisen erzeugt, hier nicht mehr stellen. Boykott forderte auch der Vertreter von Tamil–EELAM, Kali, der insbesondere auf die Auswirkungen des Geschäfts in Entwicklungsländern, im besonderen in Sri Lanka, einging. Tourismus nütze nur der herrschenden Klasse, forciere Ghettoisierung und Enteignung unterdrückter Gruppen, und zerstöre gewachsene wirtschaftliche und kulturelle Strukturen. Jacqueline (ai) und Monika (Gesellschaft für bedrohte Völker) konnten außer der schlichten Anprangerung von Folter und Unterdrückung nichts zum Thema beitragen. Beide vertraten ihre allseits bekannten Grundsatzpositionen. Die Brücke zum Thema Reisen in Diktaturen konnten sie nicht schlagen. Ein Armutszeugnis vor allem für die Gesellschaft für bedrohte Völker, deren politisches Anliegen und politischer Ansatz, über folkloristische Sentimentalität hinaus, doch gerade die hemmungslose kulturelle Ausbeutung und Eroberung von ethnischen Gruppen durch den Tourismus sein müßte. Reisen und Politik Kurz schien sich noch einmal eine Diskussion über die Reiseberichterstattung der Medien zu erhitzen. Ein Zuschauer beklagte die in bürgerlichen Medien übliche Trennung von trockenem Nachrichtenteil und sonnigem Reiseteil ohne den geringsten Ansatz kritischer Auseinandersetzung. Eben dadurch würde das Bewußtsein gefördert, Reisen und Politik hätten nichts miteinander zu tun. Die versammelte Journaille ging der Auseinandersetzung aus dem Weg, außer dem FAZ–Vertreter. Denn die FAZ ist ja selbst in Bezug auf tourismusanalytische Themen auf ihre Art gründlich. So blieb es bei einer Betroffenenveranstaltung. Die Brisanz des Themas wurde verspielt, trotz beharrlichen Nachhakens des Diskussionsleiters Gerhard Armanski von der Gruppe Neues Reisen. Sanft einkassiert Die im Dunkeln sieht man nicht, vor allem nicht in der auf Hochglanz polierten Atmosphäre der ITB. Die Ansätze, Licht auf die Schattenseiten zu werfen, bleiben hilflos. Zwischen verführerischen orientalischen Gärten, Bauchtänzerinnen, karibischen Schönheiten, exotischen Klängen und Drinks wirken kritische Appelle wie die Heilsarmee am letzten vorweihnachtlichen, verkaufsoffenen Samstag vor Berlins Konsumentenparadies, dem KaDeWe. Nur, daß die Rufer in der Wüste hier mehr gehätschelt werden.
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