: Im „Raketenschach“ ist Bonn am Zug
■ Regierung Kohl uneins über Abrüstungsvorschläge / Gorbatschow–Berater Bowin befürwortet Kontrollen
Mit seinem Vorschlag, das Abrüstungspaket aufzuschnüren, hat Gorbatschow die NATO in Zugzwang gebracht. Auch das Bonner Regierungslager ist gespalten. Außenminister Genscher begrüßt einen Zustand vergleichbar mit dem vor dem NATO–Doppelbeschluß, das Verteidigungsministerium besteht auf den Abzug der Kurzstreckenwaffen. Iswestija–Kommentator Bowin bekräftigte gegenüber der taz auch ein sowjetisches Entgegenkommen in dieser Frage.
Olaf Rademacher Die jüngsten sowjetischen Abrüstungsvorschläge haben offensichtlich Bewegung in die westliche Diskussion über den Abbau von Mittelstreckenraketen in Europa gebracht. Die politischen Differenzen zwischen Tauben und Falken in der amerikanischen Administration werden wieder deutlich: während das amerikanische Außenministerium die Bereitschaft von fünf europäischen Staaten (BRD, Belgien, Großbritannien, Italien und den Niederlanden) für sowjetische Kontrollen in Westeuropa am Dienstag bekanntgab, forderte Verteidigungsminister Weinberger am gleichen Tag die baldige Stationierung von Antisatellitenraketen, die Entwicklung des SDI–Projekts sowie ein Studienprogramm über bemannte militärische Weltraumstationen der USA. Ginge es dagegen nach dem Verhandlungsleiter der USA in Genf, Max Kampelman, könnte „die Bewegung bei den Mittelstreckenraketen sich als ansteckend erweisen und die gleiche oder sogar noch mehr Bewegung im Bereich der (strategischen) Langstreckenraketen ermöglichen“. Mit dem Verzicht auf eine Verbindung zwischen einem Abkommen über Mittelstreckenwaffen und dem SDI–Projekt habe die Sowjetunion ein „selbstgeschaffenes Hindernis“ beseitigt, so der Chefunterhändler. Kampelman bekräftigte aber gleichzeitig die Position des Außenministeriums, daß bei einer Vereinbarung zur Beseitung der Mittelstreckenraketen (sowjetische SS 20, amerikanische Cruise Missiles und Pershing II Raketen), die in Europa vorhandenen Raketen kürzerer Reichweite „berücksichtigt werden müßten“. Da aber auch in dieser Hinsicht von sowjetischer Seite Verhandlungsbereitschaft signalisiert wird (siehe Interview mit Alexander Bowin) und vor allem nun selbst auf Kontrollen vor Ort über die Verwirklichung von Vereinbarungen gedrängt wird , könnten die Verhandlungsdelegationen bis zum Sommer 1987 tatsächlich ein Abkommen unter Dach und Fach bringen, gäbe es nicht den zähen Widerstand vor allem der amerikanischen Rüstungslobby. Daß die ihren Kampf noch nicht aufgegeben hat, zeigen nicht nur die Äußerungen von Caspar Weinberger. Der am Dienstag vom Präsidenten dem Kongress vorgelegte Bericht über „sowjetische Verstöße bei den Rüstungskontrollabsprachen“ läßt befürchten, daß die altbewährten propagandistischen Mittel für ein weiteres Drehen an der Rüstungs pirale weiterhin angewandt werden. Im Bericht wird behauptet, die UdSSR sei dabei, in Verletzung der ABM–Verträge ein Abwehrsystem gegen feindliche Raketen auf ihrem Territorium aufzubauen. Die UdSSR sei sogar in einigen Monaten in der Lage, Elemente eines solchen Systems aufzustellen. Und obwohl das Washingtoner Friedensforschungsinstitut „Zentrum für Verteidigungsinformationen“ diese Studie mit dem Urteil „voller ideologischer Vorurteile“ belegte und die Vertragstreue der Sowjets heraustellte, blieb Präsident Reagan auf der Linie seines Berichts. Und da nun selbst in der Nato die Meinungen über die Gorbatschowinitiative geteilt sind (General Altenburg hat sie begrüßt, während Nato–Oberbefehlshaber Rogers vor einer „isolierten Null–Lösung“ warnte), gewinnt die Haltung der Europäer an Bedeutung. er
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