Wahlen nur zum Wohl der Kandidten

■ Kommunalwahlen in drei traditionell aufmüpfigen indischen Bundesstaaten dienen als Test für die angeschlagene Popularität von Rajiv Gandhi / Im südlichen Kerala hat eine Linksfront gute Chancen, die Regierung zu übernehmen / Vergebliche Reformversuche

Aus Trivandrum Biggi Wolff

Die Straßen haben sich in Alleen aus roten Fahnen verwandelt, Hammer und Sichel, Marx–, Engels–, Lenin–Portraits schimmern zwischen den Palmen durch. Die Kommunisten haben gewaltig mobilisiert zum Wahlkampf im südindischen Bundesstaat Kerala. An den Straßenecken diskutieren Menschen, pausenlos plärren die Lautsprecher, Parolen und Musik wechseln sich ab. 50 Millionen Wahlberechtigte sind heute in drei indischen Bundesstaaten aufgerufen, nach fünf Jahren neue Länderparlamente zu wählen. Anders als in Westbengalen und Kaschmir, wo eine Bestätigung der jeweiligen Regierungen erwartet wird, steht in Kerala ein spannendes Kopf an Kopf–Rennen zwischen einem von der in Delhi regierenden Congress–Partei geführten Bündnis und einer Linksfront der maoistischen KP an. Kerala ist mit 25 Miollionen Einwohnern einer der am dichtesten besiedelten Staaten Indiens und hat mit Abstand die höchste Alphabetisierungsrate des Subkontinents(70 . Die Hauptsprache des Landes ist Malayalam. Die Wirtschaft des küstennahen Bundesstaates basiert auf Agrarprodukten: Cashnüsse, Kautschuk, Kokosnüsse, Sisla und Gewürzen. Seit 1957 wird Kerala mit Unterbrechungen von Linkskoalitionen regiert, 1982 gewann die Congresspartei mit nur einem Prozent Vorsprung die Macht. Jetzt will die CPI–M (die Kommunistische Partei Indiens maoistischer Prägung) mit ihrer Linksfront die Schlappe wieder wettmachen. Reformkommunisten Doch die revolutionäre Aufmachung in der Hauptstadt Trivandrum und in den Dörfern täuscht. Von radikalen ökonomischen Programmen oder gar einer Strategie zur Beseitigung der Klassenunterschiede ist nicht die Rede. Selbst die Parolen früherer Wahlkämpfe - Landreform und Anhebung der Mindestlöhne - sind verschwunden. Stattdessen werden als Ziele der Linken „Stabilität“ und die Einladung ausländischer Investoren zu Joint Venture– Gemeinschaftsprojekten auf den Schild gehoben. Man hat aus der Vergangenheit gelernt, wo sich selbst vorsichtige Reformen zum Bumerang entwickelten. So war es in den 70er Jahren die Linksfront in Kerala, die das vom Congress in Delhi entwickelte Landreformgesetz umsetzte. Varghese, ein Journalist aus Trivadrum, beschreibt die Folgen: „Angeblich wurden damals 40 Prozent des Landes umverteilt. Aber die CPI–M ist nie wirklich gegen die Reichen vorgegangen. Angehörige der hohen Kasten und Großgrundbesitzer hatten genug Zeit, ihre Ländereien zu verkaufen oder Verwandten zu schenken. Ein echtes Verdienst der Linksfront ist, daß sie die Stellung der Arbeiter und Pächter gestärkt hat. Infolgedessen wurde viel gestreikt und schließlich fanden die Unternehmer, das politische Klima sei investitionsfeindlich. Gerade hat die letzte Reifenfabrik zugemacht, und das, obschon Kerala in Indien der Hauptproduzent von Kautschuk ist“. So ist denn die Arbeitslosigkeit das beherrschende Thema im Wahlkampf. Verschärft wird das Problem durch die zurückkehrenden Arbeiter aus den Golfstaaten. Zu Zeiten des Ölbooms hatten Zehntausende von gutausgebildeten Keralesen ihrer Heimat den Rücken gekehrt, um sich im Nahen Osten nach lukrativen Jobs umzusehen, 990 Mio. DM Devisen flossen jährlich als Überweisungen zurück. Seit dem Ende des Ölbooms kommen die Menschen zurück, das Geld bleibt aus. Als vor kurzem in einer Bibliothek 25 Stellen für Hauptschulabgäner ausgeschrieben wurden, meldeten sich 800 Bewerber mit Universitätsabschluß. Congresspartei opportunistisch Was Wunder, daß die mit der KP konkurrierende Congress–geführte Rechtsfront UDF im Falle eines Wahlsieges vor allem das Bildungswesen reformieren möchte. Schulen sollen privatisiert und der Kontrolle der Religionsgemeinschaften unterstellt werden. Als Bündnispartner hat die UDF dabei schon die Organisationen der 20 die konservativen Schichten ge wonnen. Damit spielt sie direkt der rechtslastigen BJP in die Hände, die einen Hindustaat für die 58 80 Millionen DM soll allein die Congresspartei in den Wahlkmapf in Kerala gepumpt haben, Hausbesuche der Kandidaten gehören ebenso dazu wie freier Alkoho lausschank und die blumengeschmückten PKWs, Jeeps und Kleinbusse, die bis in die entlegensten Siedlungen fahren. Rajiv Gandhi stattete dem Staat persönlich mehrere Stippvisiten ab. Trotz starker Kritik an einem jüngst vorgelegten Haushaltsentwurf, seinem Führungsstil und seinem Konflikt mit dem indischen Präsidenten Zail Singh ist Gandhis Image immer noch besser als das zahlreicher Congress–Politiker in Kerala, denen diverse Korruptionsaffairen anhängen. Für Gandhi sind die Wahlen der bislang größte Popularitätstest seit seiner Machtübernahme 1984. Sollte der Congress in Kerala verlieren, wäre die letzte Bastion der Regierungspartei in Südindien gefallen, ihr Einfluß auf den „Kuhgürtel“ der strenggläubigen Hindustaaten in Nord– und Zentralindien konzentriert. Bei einem Sieg der Linksfront wäre Kerala neben Tripura und Westbengalen der dritte kommunistisch regierte Bundesstaat. Sind Hammer und Sichel hier ein zugkräftiges Symbol? „Ja“, sagt Babu, ein Mechaniker, den ich an der Bushaltestelle treffe. „Ich wähle CPI–M, weil wir sehen, daß es in der UDSSR nicht so krasse Unterschiede zwischen arm und reich wie bei uns gibt“. „Diese Wahlen sind eine lästige Sache“, kommentiert dagegen ein Kleinunternehmer, mit dem ich auf der Zugfahrt nach Trivandrum ins Gespräch komme. „Sie dienen nur dem Wohl der Kandidaten, nicht dem des Volkes“. Seinen Betrieb hat er in den benachbarten Bundesstaat Tamil Nadu verlegt, „wegen der größeren politischen Stabilität“.