: Er fiel im Dschungelkampf
■ Ex–SPD–Mitglied Jochen Steffen, früherer Landesvorsitzender der SPD Schleswig–Holstein, über seinen ehemaligen Parteivorsitzenden
Willy Brandt ist als Parteivorsitzender auf dem Felde erlegt worden, auf dem sein Rücktritt als Kanzler entschieden wurde. Er wurde abserviert im Zwielicht der Dschungelkämpfe des Apparates. Das ist vor allem seine eigene Schuld. Ein Mann seiner Erfahrung, der die Partei und ihre Politik immer als Fundament und Instrument seines persönlichen Agierens verstand - vor allem in der Außenpolitik - und sie nie führte, sondern schlittern ließ, mußte wissen, daß die erfolgreichen Methoden der Wachstumsepoche sich nicht in einer permanenten Weltwirtschaftskrise anwenden lassen. An seinem Sturz haben die alte Schmidt–Wehner–Gang ebensoviel bewußt mitgewirkt wie die Parteilinken, die nicht begriffen, daß man nicht allein die Überrumpelungswahl Kloses durchziehen konnte. Wer mit dem veränderten Machtgewicht der Parteiflügel agiert, muß eine Strategie und Taktik der parteiinternen „Machtübernahme“ haben. Die gibt es offenbar nicht. So kippte die Rechte Brandt gezielt, die Linke wirkte fahrlässig mit. Erschreckend ihre Hilflosigkeit, als der Knatsch um die Mathiopoulos hochgespielt wurde und es schon längst um den Vorsitzenden ging. Will man von Schuld reden, sollte man sie bei Brandt selbst und seinen engsten Beratern suchen. Sie und er haben nicht begreifen wollen, daß die Probleme von heute nicht durch Liegenlassen oder Vorsichherschieben zu bewältigen sind. Dieses Verhalten war für den Parteivorsitzenden Brandt keine Taktik. Das war seine parteiinterne Strategie. Wenigstens auf dem weiten Feld der Innenpolitik interessierte ihn eigentlich nichts. Sie zählte nur so weit, als sie geeignet schien, Stimmen, Mehrheiten und Macht zu bringen. Macht für die Außenpolitik. Ihr galt sein wirkliches Interesse. Auch gegenüber Klasseninteressen war er merkwürdig blind. Als die Welle der Arbeitslosigkeit die Millionenmarke erreichte - und die Prognosen vorlagen, daß drei Millionen Arbeitslose durchaus möglich seien - fiel ihm nur der Vorschlag ein, man solle die Sache „differenziert betrachten“. Er bereitete Schmidts Bruch der Solidarität zwischen Arbeitsbesitzenden und Arbeitslosen ideologisch vor. Dabei war Brandt immerhin einmal Mitglied der SAP, der Sozialistische Arbeiterpartei. Wer wenigstens behauptet, Brandt habe zuletzt in der Partei die Zügel nicht mehr in der Hand gehabt, der irrt sich. Brandt hatte nie die Parteizügel in der Hand. Schleifende Zügel Als Schüler Machiavellis wußte er, daß das außenpolitische Feld geprägt ist durch historische Ereignisse und Interessen, sowie den verschiedenartigen Graben der Macht, sie durchzusetzen. Außenpolitik ist für Brandt - nach seinen Worten - an der Mauer entlanggehen, eine geschriebene Botschaft hinüberwerfen und darauf warten, daß einem ein Antwortbrief vor die Füße fällt. Über Botschaft und Antwort, Ziel und Weg soll man vorher nicht reden. Die Sache würde von Gegnern und Freunden zerredet. Möglichst zügig und schnell soll man beide Gruppen vor vollendete Tatsachen stellen. So zog er die Konsequenzen aus der Tatsache, daß die Deutschen den Zweiten Weltkrieg auch nicht gewonnen hatten. Entspannungspolitik entsprang der Einsicht, daß sich den deutschen Interessen umso größere Chancen der Durchsetzung eröffneten, als der Interessengegensatz zwischen den Supermächten verringert wurde. Auf diesem Gebiet war Brandt zweifellos höchst erfolgreich. Eine historische Figur. Mit derselben Technik versuchte er, die SPD zu steuern. Man könnte auch sagen, er bewegte sich im Stil skandinavischer Parteipräsidenten, nicht eines deutschen Parteivorsitzenden. Er verhüllte seine Meinung - oder verleugnete sie, fand er keine Mehrheit - hörte sich die Argumente an, schätzte deren Stimmgewicht in Delegierten auf dem Parteitag ab und zog als Beschluß die inhaltliche Quersumme aus der Debatte. Abstimmen ließ er, wenn überhaupt, nur über Personalfragen. Brandt sagte keinen Mucks, wenn die Parteirechte - die inhaltlich meist wenig beizusteuern hatte - ihren Mann oder ihre Frau im Ämterkampf mit rüden Methoden durchzog. Protest gegen das parteiinterne Catchen gab es erst, als Klose gegen die Rechten - mit deren Methoden als Vermögensverwalter - gewählt wurde. Wenn Brandt selbst eine Person haben wollte, ließ er das vorher durch Leute seiner Crew verschlüsselt sondieren. Waren die Signale schlecht, wurden aus Kandidaten heiße Kartoffeln. Brandt hat Menschen immer als Instrumente behandelt. Zu seinem höheren Ruhm und größerer persönlicher Macht. Brandt war immer einsam und kontaktarm. Ausgerechnet Günther Grass - damals noch nicht Parteimitglied - predigte ihm immer, sich mehr um die Partei zu kümmern. Einige Fakten mögen erhellen, daß er dabei alles andere als erfolgreich war. Die Verwandlung der Berliner SPD in einen Ringverein geht erheblich zu Brandts Lasten. Er war rechtzeitig über die kritische Entwicklung der Parteipresse informiert. Er ließ sie den Bach hinunterrauschen. Er wollte gar nicht wissen, wie Nau der Partei zu Geld verhalf. Deshalb überließ er ihm auch die Personalpolitik. Sie war verheerend. Aber eine Organisation ist nun einmal keine Außenpolitik. Dort benötigt man Inspiration und Glück. Organisation ist Planung, Arbeit, Aktenwühlen. Willy Brandt konnte nicht begreifen, daß in einer Strukturkrise der bisherigen Art des Wirtschaftens, der Abwartende jener ist, mit dem die anderen Schlitten fahren. Lediglich Wahlergebnisse und Meinungsumfragen machten ihm klar, daß auch viele Stammwähler nicht bereit waren, für eine SPD zu stimmen, deren Politik Lothar Späth besser verkauft als Vogel es je können wird. Was macht der Vorsitzende in einer solchen Situation? Er löst eine Programmdiskussion aus. Wenn man schon nie wußte, was man bei Kohle, Stahl, Werften, Energie, Landwirtschaft wirklich und langfristig tun sollte, streitet sich die SPD heute intern darüber, was sie grundsätzlich sein soll. Sozialistisch oder sozial–liberal, NATO– unterwürfig oder neutralistisch. Unter dem Druck der Krise gibt es in der SPD einen Linksdrift. Die ständige rechte Mehrheit in den Entscheidungsgremien der Partei beginnt zu wackeln. Die Überrumpelungswahl Kloses formierte die Rechte zum entscheidenden Gefecht. Sie war - wie seinerzeit der preußische Adel - immer der Meinung: Unter Willy absolut, wenn er unseren Willen tut. Aber wenn er schon mit Klose untergebügelt wird, wie soll er in den kommenden Richtungsentscheidungen sich durchsetzen ? 33–Prozent–Partei Denn bei Richtungsentscheidungen muß man ja oder nein sagen. Der Vorsitzende Brandt wollte am Ende der Auseinandersetzungen - wenn die SPD wieder so etwas haben sollte, wie eine politische Generallinie - mit den stärkeren Bataillonen sein. Wie bisher immer. Aber die Pattstellung der Richtungen innerhalb der Partei ließ diesen erprobten Opportunismus nicht mehr zu. Die jeweiligen Bataillone wollen den Vorsitzenden vorher auf ihrer Seite haben. Ohne Brandt kein interner Sieg. Und wenn man nicht siegen kann, weil Brandt sich der Stellungnahme entzieht, tja, wozu braucht man ihn. Es ist dabei eine besondere Ironie, daß Brandt die Volkspartei - mit einem Minimum an innerem Konsens ein Maximum an Stimmen einfahren - eigentlich auf den Leib geschrieben war. Sie erlaubte ihm, der bei seinen Wanderungen durch die Landschaften der Linken illusionslos und zynisch geworden war, ein ausgedehntes Taktieren und Finassieren. Einen besseren Mann - den die Parteilinken insgeheim noch für links hielten - wird die SPD– Rechte nicht wiederfinden. Auf Brandt soll Vogel folgen. Er ist ebenso ein Rechter, wie die einzige Figur, die verhindern kann, daß der SPD ihre Teile um die Ohren fliegen. Früher war er im Machtkampf egozentrisch, brutal und scheinheilig. Heute - so versichert wenigstens seine Crew - ist er geläutert. Sachlich, fair, aufgeschlossen. Für mich ist er ein ehrgeiziger Typ, sehr gescheit, arbeitsam und detailverliebt. Er beflügelt die Phantasie so stark, wie jeder andere verknöcherte Oberlehrer. Die Parteirechte hat ihn gemacht, er wird ihr Gefangener sein. Mit Vogel marschiert die SPD zielbewußt in den Turm der 33 AUTOR_________: Jochen Steffen
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